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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 17.1925

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Heft 7
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Fierens, Paul: Die junge Kunst in Belgien
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https://doi.org/10.11588/diglit.42040#0392

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tigkeit und wirklich menschliche Regungen lassen uns diesen einsamen und
mißverstandenen Dichter liebgewinnen.
Charles Dehoy, ein ebenso sensibler Künstler, der aus verschiedenen Ein-
flüssen Nutzen gezogen hat und heute gerettet und Sieger ist, teilt die Hoff-
nung seiner Zeit, wird sich jedoch von jetzt ab nur noch auf die Kraft seiner
persönlichen Logik verlassen. Das Gehirn ist indessen nicht der ganze Mensch
und Dehoy begreift dies, nachdem er es zunächst gefühlt, gedacht und geträumt
hat. Seine von zarter Anmut entblößte Kunst hat jene Grazie und jenes ge-
ruhige Naturell behalten, das das Ergebnis einer bewußten Meisterschaft ist.
Obwohl Charles Dehoy sehr geschickt ist, hält er seine Geschicklichkeit für
nichts besonderes, und sein Fortschritt ist eine Folge seiner Widerstands-
fähigkeit gegen die verschiedensten Versuchungen. Das Ideal läutert sich im
Kampfe und ein in Schmerz und Unruhe geschaffenes Werk trägt nicht die
Spuren ständigen Kampfes an sich. Freude am Schauen und Seelensgüte sind
seine hervorstechendsten Tugenden. Zu einer Zeit, da man die Gärten des Ver-
standes wie ein verlorenes Paradies wiederfindet, wollen wir den Maler be-
neiden, der auf diese Weise das Zusammenklingen einer feinen Sinnlichkeit,
eines jugendlichen Empfindungsvermögens und eines Verstandes ohne Dog-
matismus verwirklicht.
Bei dem Antwerpener Rene Guiette herrscht, durch französischen Einfluß
befördert, ebenfalls der Verstand vor. Aber dieser noch sehr junge Maler hat
noch nicht sein letztes Wort gesprochen.
* *
*
Man hat mit der bequemen Gegenüberstellung der flämischen Koloristen
und der wallonischen Zeichner Mißbrauch getrieben. Ohne Zweifel zeichnet
sich die junge Schule der Maasgegend durch eine Schüchternheit aus, die nicht
den Zauber einer ernsten Erregung zu ersetzen vermag. Es gibt jedoch in
Lüttich bereits Maler, wie Auguste Mambour und Marcel Caron, die die Er-
neuerung ankündigen. Mambour ist ein Künstler voll von schönster Energie;
seine ohne Schroffheit von fast neutralem Grund sich abhebenden Silhouetten
haben wie die Statuen von Constantin Meunier eine Bedeutung, die das Kon-
krete übersteigt. Ihre Gesten haben etwas von einer wahrhaft epischen Groß-
artigkeit. Mambour hat von einem Aufenthalt im Kongo kürzlich Bilder mitge-
bracht, in denen sich die elementaren Gesten von Mann und Frau mit einem
außerordentlichen Gefühl für Rhythmus und Gleichgewicht der Massen mit
der großen Bewegtheit der Landschaft vereinigen.
Flandern war stets das Land der Kontraste. Ein abwechselnd sinnlich und
kontemplativ veranlagtes Genie ist der Ruhm seiner Vergangenheit. Was für
eine Kontinuität gibt es von van Eyck bis Jordaens? W'elche Verwandtschaft
besteht zwischen Verhaeren und Guido Gezelle? Während die Legende vom
flämischen Künstler, der ein Trinker und Fresser sein soll, berauscht an der
„brennenden Farbe“ und wie ein Gourmand versessen auf die schöne, ölige
und goldige Farbmasse, immer noch fortlebt, gibt George Minne den idealen
Aspirationen seiner Rasse neuen Aufschwung. Der Mann des Nordens ist
eifersüchtig auf sich selbst und ungesellig. Kaum erfährt man von der Exi-
stenz einer Schule in der Umgebung von Gent, der Schule von Laethem-Saint-
Martin, da erklären die Hauptmeister der Gruppe sich schon wieder als ab-
trünnig. Man findet sie heute recht weit von ihren gemeinsamen Anfängen
entfernt. Es bleibt aber Tatsache — und vielleicht die bedeutsamste Tatsache
der belgischen Künstlergeschichte seit dem Impressionismus —, daß vor etwa

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