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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 17.1925

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Heft 10
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Schmidt, Paul Ferdinand: Heinrich Campendonk
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https://doi.org/10.11588/diglit.42040#0525

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Kunst uns hingestellt als Gleichnis unserer Zeit und dieser besonderen Fär-
bung europäischer Welt.
Im Herzen Europas und in Wahrheit als politischer, wirtschaftlicher, geo-
graphischer Knotenpunkt liegen die Rheinlande da, offen allen Einwirkungen
von Ost und West und Süden, selber stets bereit, nach allen Richtungen aus-
zuteilen von ihrem Reichtum, und mit ihrer Lebenslust den guten Europäer
von überallher bei sich als ihresgleichen zu empfangen und von deutscher Art
den freundlichsten, geselligsten Eindruck zu vermitteln. So nun schaut auch
die unbefangene Kunst des Rheinlands aus, die wir hauptsächlich in jenen
Namen verkörpert finden: offen jedem starken richtunggebenden Einfluß, recht
im Mittelpunkt aller gut europäischen Bewegungen von Matisse zu Chagall,
von Munch zu Picasso und Paul Klee: alle aber in sich verschmelzend zu
einer Einheit, die vom Franzosen die gute Haltung und Form, vom Russen
den grenzenlosen Irrationalismus, vom Italiener die kühle Sicherheit, vom
Deutschen die romantische Lust zum Fabulieren und von der Heimat die Gabe
nimmt, das alles in heiterste, leuchtende Farbenpracht zu kleiden und in ihr das
Symbol der Vereinigung all der scheinbar widerstrebenden Elemente auf-
zustellen.
Denn dies ist offenbar das Gemeinsame jener jung Gestorbenen mit Cam-
pendonk und als das wahrhaftige Eigentum ihres rheinischen Geblütes anzu-
sprechen: daß sie märchenhaft umgebildete Wirklichkeiten durch eine un-
wirkliche und bis zum Phantastischen gesteigerte Schönfarbigkeit ausdrücken.
Altrheinische Fabulierkunst spricht sich weniger in fabelhaften Gegenständen
als in unwahrscheinlichen Kombinationen aus; und ihr romantisches Gepräge
erhält diese Welt der umgedeuteten Tatsachen durch die Farbe, die von aller
Rücksicht auf Wahrscheinlichkeit und Augentrug entbunden wird. Lebte
Macke noch völlig im Bann des realen Daseins, suchten Seehaus und mit stär-
kerer Kraft Hans Bolz — um den man wohl die heftigste Trauer empfinden
darf — konkretes Leben in spirituellfarbige, kubistisch irisierende Formen zu
pressen: so hat die vollkommene Erfüllung dieser rheinischen Darstellungs-
formel erst Campendonk bringen können, weil ihm ein rastloses Weiter-
schaffen durch anderthalb Jahrzehnte vergönnt war. Er hat, wo nicht sich,
so doch jenes rheinländische Ideal bereits in einer Weise vollendet, die uns ihn
als den wesentlichsten Vertreter dieser Romantik begrüßen läßt; unbeschadet
aller Möglichkeiten weiterer Vervollkommnung, die dem Fünfunddreißig-
jährigen noch bestimmt sind.
* *
*
Wirklich: es handelt sich hier um Romantik, und um eine solche, die durch-
aus nicht wesensfremd ist jener vor 120 Jahren. Was die romantischen Dich-
ter in Verse gießen wollten, und wovon der große Maler Philipp Otto Runge
träumte als dem Endziel seiner Bemühungen: hier scheint es, in so viel spä-
terer und unpassenderer Zeit, sich erfüllt zu haben. Die Welt poetisch ge-
steigert darzustellen, war das Bestreben aller Romantiker, Traum und Wirklich-
keit als Einheit zu gestalten, wie es Novalis auf der einen, E. Th. A. Hoffmann
auf der anderen Seite erfüllten. Was sie aber unbefriedigt ließen: die farbig-
sinnliche Unmittelbarkeit der Anschauung, gedachte Runge in seinen „Hiero-
glyphen“ zu geben, Symbolen der Gotteswelt, deren tiefste Bedeutung in ihrer
Farbe lag. Dies nun scheint in unerwarteter Weise unsern rheinischen Neu-
romantikern (und mit ihnen kühnen Phantasten wie Chagall, Marc, Paul
Klee) gelungen zu sein: der Wirklichkeit überraschend durch märchenhafte
Farbe neue Glaubwürdigkeit in dichterischem Sinne zu geben. Und das ist

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