Beaux-Arts, daß in der amerikanischen Baukunst deutlich etwas Fran-
zösisches zu spüren ist. Dem gewaltigen Lehrkursus der Beaux-Arts-
Schule ist es vielleicht nicht geglückt, Frankreich große Architekten zu geben,
aber er scheint einen sehr glücklichen Einfluß auf Amerika gehabt zu haben.
Die endlosen Perspektiven dieses Kursus, seine äußerst akademische Auf-
machung, das lange Fernbleiben des Studenten von der Berührung mit dem
praktischen Bauen, der Wert, der auf höchste Korrektheit, gediegenste Zeich-
nung und vornehmes architektonisches Gelehrtentum gelegt wird — das alles
ist für viele Europäer zu viel; aber auf die großartige Lebenskraft des Ameri-
kaners scheint dieser Lehrkursus die glücklichsten Rückwirkungen gehabt
zu haben. Amerika ist ein reiches und schnell wachsendes Land, und den
amerikanischen Architekten bietet sich darum ein viel größeres Betätigungs-
feld als den Baumeistern irgendeiner anderen Rasse. Aber es handelt sich
nicht nur um die reicheren Betätigungsmöglichkeiten; der Blick für das Große
und die Lebenskraft der amerikanischen Architekten versprechen etwas wie
eine neue Baukunst, eine Baukunst, die sich in Größe und Majestät mit der
italienischen Renaissance messen kann. Gewiß wird auch in Amerika noch
viel Schlechtes und Albernes gebaut, aber es lebt drüben etwas wie ein all-
gemeines Verständnis für die ungeheuren Möglichkeiten, eine Fähigkeit, die
gewaltigen mechanischen Hilfsmittel zur Geltung zu bringen und, wo es
drauf ankommt, der Schwierigkeiten im Sturm Herr zu werden; alles das hat
die englischen Baumeister zur Bewunderung hingerissen. Diese Bewunde-
rung hat gewisse klar erkennbare technische Folgen in England, denn die
amerikanische Baukunst hat ausgesprochene Eigenheiten. So haben z. B. das
amerikanische Licht (so erklären manche Beurteiler) oder die amerikanischen
Bauvorschriften (so behaupten andere) die amerikanischen Baumeister daran
gewöhnt, flachere Profile, kleinere Gesimse und geringere Vorsprünge zu
verwenden, als man in England gewohnt ist. Die Amerikaner neigen zu einer
gewissen harten, scharf geschnittenen logischen Einfachheit und nicht, wie
so viele lebensfreudige Zeitalter, zu Überschwang und reichem Schmuck.
Auch gibt es in Amerika jetzt eine ganz neue gotische Mode, in der übrigens
die eben genannten Eigenheiten behalten werden. Diese Mode mag vorüber-
gehend sein und keinen Einfluß auf England gewinnen. Wenn die Mode
aber Dauer hat, wird man ihr auch in England folgen, denn der amerikanische
Einfluß ist in England stark geworden und wird sicher noch stärker werden.
So sind z. B. bereits für englische Architekturschüler eine Anzahl von ameri-
kanischen Reisestipendien eingerichtet worden, und viele ausübende Archi-
tekten Englands schöpfen nicht nur aus der amerikanischen Baukunst, wie
sie sich in England einbürgerte, sondern aus Studienreisen nach Amerika
Anregung.“
Diese englischen Ausführungen über den amerikanischen Einfluß in Eng-
land sind ebenso beachtenswert wie das über den französischen Einfluß in
Amerika Gesagte. Der vorzügliche und sehr starke Einfluß der Pariser
Beaux-Arts-Schule in Amerika ist eine höchst eigentümliche Erscheinung,
weil er viel mehr die Moral und die Methode der amerikanischen Baumeister
als ihre Formengebung bestimmt hat. Es ist für einen Deutschen auch der
Mühe wert, nachdrücklich zu fragen, warum die deutschen Architekturschulen
keinerlei ähnlichen moralischen Einfluß ausüben konnten. Jedenfalls ist
die Berechtigung der Auffassung zweifelhaft, welche deutsche Beurteiler der
amerikanischen Baukunst manchmal den deutschen Einfluß überschätzen
läßt. So schreibt z. B. K. T. Stöhr in seinem Buche „Amerikanische Turm-
bauten“ (München, 1921): „Der Einfluß der etwas süßlichen französischen
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zösisches zu spüren ist. Dem gewaltigen Lehrkursus der Beaux-Arts-
Schule ist es vielleicht nicht geglückt, Frankreich große Architekten zu geben,
aber er scheint einen sehr glücklichen Einfluß auf Amerika gehabt zu haben.
Die endlosen Perspektiven dieses Kursus, seine äußerst akademische Auf-
machung, das lange Fernbleiben des Studenten von der Berührung mit dem
praktischen Bauen, der Wert, der auf höchste Korrektheit, gediegenste Zeich-
nung und vornehmes architektonisches Gelehrtentum gelegt wird — das alles
ist für viele Europäer zu viel; aber auf die großartige Lebenskraft des Ameri-
kaners scheint dieser Lehrkursus die glücklichsten Rückwirkungen gehabt
zu haben. Amerika ist ein reiches und schnell wachsendes Land, und den
amerikanischen Architekten bietet sich darum ein viel größeres Betätigungs-
feld als den Baumeistern irgendeiner anderen Rasse. Aber es handelt sich
nicht nur um die reicheren Betätigungsmöglichkeiten; der Blick für das Große
und die Lebenskraft der amerikanischen Architekten versprechen etwas wie
eine neue Baukunst, eine Baukunst, die sich in Größe und Majestät mit der
italienischen Renaissance messen kann. Gewiß wird auch in Amerika noch
viel Schlechtes und Albernes gebaut, aber es lebt drüben etwas wie ein all-
gemeines Verständnis für die ungeheuren Möglichkeiten, eine Fähigkeit, die
gewaltigen mechanischen Hilfsmittel zur Geltung zu bringen und, wo es
drauf ankommt, der Schwierigkeiten im Sturm Herr zu werden; alles das hat
die englischen Baumeister zur Bewunderung hingerissen. Diese Bewunde-
rung hat gewisse klar erkennbare technische Folgen in England, denn die
amerikanische Baukunst hat ausgesprochene Eigenheiten. So haben z. B. das
amerikanische Licht (so erklären manche Beurteiler) oder die amerikanischen
Bauvorschriften (so behaupten andere) die amerikanischen Baumeister daran
gewöhnt, flachere Profile, kleinere Gesimse und geringere Vorsprünge zu
verwenden, als man in England gewohnt ist. Die Amerikaner neigen zu einer
gewissen harten, scharf geschnittenen logischen Einfachheit und nicht, wie
so viele lebensfreudige Zeitalter, zu Überschwang und reichem Schmuck.
Auch gibt es in Amerika jetzt eine ganz neue gotische Mode, in der übrigens
die eben genannten Eigenheiten behalten werden. Diese Mode mag vorüber-
gehend sein und keinen Einfluß auf England gewinnen. Wenn die Mode
aber Dauer hat, wird man ihr auch in England folgen, denn der amerikanische
Einfluß ist in England stark geworden und wird sicher noch stärker werden.
So sind z. B. bereits für englische Architekturschüler eine Anzahl von ameri-
kanischen Reisestipendien eingerichtet worden, und viele ausübende Archi-
tekten Englands schöpfen nicht nur aus der amerikanischen Baukunst, wie
sie sich in England einbürgerte, sondern aus Studienreisen nach Amerika
Anregung.“
Diese englischen Ausführungen über den amerikanischen Einfluß in Eng-
land sind ebenso beachtenswert wie das über den französischen Einfluß in
Amerika Gesagte. Der vorzügliche und sehr starke Einfluß der Pariser
Beaux-Arts-Schule in Amerika ist eine höchst eigentümliche Erscheinung,
weil er viel mehr die Moral und die Methode der amerikanischen Baumeister
als ihre Formengebung bestimmt hat. Es ist für einen Deutschen auch der
Mühe wert, nachdrücklich zu fragen, warum die deutschen Architekturschulen
keinerlei ähnlichen moralischen Einfluß ausüben konnten. Jedenfalls ist
die Berechtigung der Auffassung zweifelhaft, welche deutsche Beurteiler der
amerikanischen Baukunst manchmal den deutschen Einfluß überschätzen
läßt. So schreibt z. B. K. T. Stöhr in seinem Buche „Amerikanische Turm-
bauten“ (München, 1921): „Der Einfluß der etwas süßlichen französischen
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