Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Hinweis: Ihre bisherige Sitzung ist abgelaufen. Sie arbeiten in einer neuen Sitzung weiter.
Metadaten

Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 17.1925

DOI Heft:
Heft 23
DOI Artikel:
Martinie, Henri: Charles Despiau
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.42040#1153

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Von H. MARTINIE / Mit
6 Abbildungen auf 3 Tafeln

Charles Despiau


DER Streit der Renaissancekünstler über den Vorrang von Malerei oder
Bildhauerei würde uns heute nur noch ein Lächeln abgewinnen. Unsere
Maler und Bildhauer leben vertraut miteinander, so daß jede Frage nach dem
Vorrang ausgeschlossen ist. Oft wählt eine Gruppe Maler einen Bildhauer, preist
seine Verdienste und verkündet seinen Ruhm. Wenn sich ein solcher Ruf
auch oft auf Höflichkeit gründet, so beruht er doch nicht selten auf wirk-
licher Bewunderung und Uneigennützigkeit.
Ausgezeichnete Maler, die besten könnte man ohne Übertreibung sagen,
haben sich so den Bildhauer Despiau erwählt. Einer von ihnen, mit dem
ich neulich diskutierte, sah in der Würde seiner Laufbahn und der Einfachheit
seiner Lebensführung eine Ähnlichkeit mit Corot. „Ja,“ sagte er, „es ist unser
Corot; ist es nicht fast wie eine Vorherbestimmung, daß er Corots bescheidene
Villa bewohnt?“
Der eigentliche Urheber von Despiaus Ruhm aber ist Rodin. Seit 1903
interessierte ihn eine Büste des jungen Anfängers, und seit 1907 machte er sich
die Fähigkeiten seines jungen Kollegen, die er hoch einschätzte, nutzbar.
Auf seine Veranlassung erhielt Despiau eine Ordensauszeichnung. Er machte
die Kritik auf ihn aufmerksam, die sich gern von des Meisters Autorität
führen ließ, und er stellte ihn außerhalb jeden Vergleichs. Die nächste Zu-
kunft lehrte, wie recht Rodin gesehen, denn die ausgezeichnete Büste von
„Paulette“ stammt aus dieser Zeit (1907).
Bis zu seiner Begegnung mit Rodin glich sein Leben dem aller jungen
unabhängigen Bildhauer unserer Zeit. Mit 17 Jahren kam er aus Mont-de-
Marsan nach Paris und besuchte dort ohne Begeisterung die Kunstgewerbe-^
schule, dann die Ecole des Beaux-Arts. Es ist eine betrübliche, aber allbe-
kannte Tatsache, daß der offizielle Unterricht die Schüler eher verwirrt als
fördert, daß er ihre natürlichen Anlagen hemmt, anstatt sie zu entwickeln.
Despiau schätzte weder die Kunst noch den Unterricht seines Lehrers Barrias,
so daß er ohne Einfluß auf ihn blieb. Anregung boten ihm aber der Louvre,
das Trokadero und die Abgüsse der Schule. Da waren auch der unvergleich-
liche Rodin und der scharfsichtige Bildhauer Lucien Schnegg. Dieser wurde
nicht müde, mit Überzeugung zur Rückkehr zu den wahren Gesetzen der
Plastik zu mahnen, die durch die gewaltsame Art des Meisters von Meudon
gelitten hatten.
Dort waren Wahrheit und Leben. Dorthin wandte sich Despiau entschlossen,
dem die Irrungen und Wirrungen anderer Anfänger erspart blieben. Zum
ersten Male stellte er im Salon de la Nationale aus, während vom nächsten
Jahre ab Rodin seine Sendungen zurückhielt. Von nun an ist der Weg für
Despiau klar vorgezeichnet; abseits von dem weiten Feld, auf dem sich der
lyrische Naturalismus von Rodin entfaltet. Nichts konnte ihn von der hohen
Vorstellung, die er von seiner Kunst hatte, abbringen, er war scharfsichtig
und geduldig, darum blieb er standhaft. Er nahm die größten Entbehrungen
auf sich, er kolorierte Postkarten, gewinnbringende Beschäftigungen raubten
aber nicht ihm seine Freiheit. Nur um sich diese zu erhalten, willigte er ein,
für Rodin zu arbeiten. Seine Kunst ist vielleicht die reinste unserer Zeit, denn
sie beruht auf Entsagung, es fehlt ihr jeder Kompromiß.
Die Hauptwerke von Despiau sind Büsten. Zweifellos haben ihn die
äußeren Schwierigkeiten seines Lebens gehindert, die entworfenen Modelle

1121
 
Annotationen