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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 17.1925

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Heft 7
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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.42040#0411

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fährlich ist es deshalb, von „in sich selbst
begrenzten Menschen“ (S. 59) zu sprechen.
Diese Formulierung, die letztlich die Be-
freiung des Menschen von allen Beziehun-
gen zum Jenseits voraussetzt, die verlangt,
daß die Menschen nicht mehr sehnsüchtig
in die Unendlichkeit blicken, ist erst im
15. Jahrhundert gültig. Vorläufig aber bleibt
die Individuation noch durch das Gesetz
der göttlichen Offenbarung begrenzt. Die
subjektiven Äußerungen der Menschen auf
einem Bilde Giottos sind noch durch den
Inhalt gebunden und in eine einheitliche
Richtung gebracht, die vom Thema abglei-
tende Genre- und Sittendarstellungen ver-
bietet.
Gleich den modernen Menschen leben
auch in der Brust der mittelalterlichen ver-
schiedengeartete Seelen. Zwei dieser Ge-
gensätze sind Christentum und nachlebende
Antike, deren Bedeutung für die Individua-
tion Rosenthal eingehend verfolgt. Selbst
in den Zeiten, wo der theokratische Ge-
danke unbestritten herrscht, wird die an-
dere Linie immer wieder vernehmlich:
Fortunatus, Hildebert von Tours, die karo-
lingische Renaissance, Reims. Man darf
diese Erscheinungen nicht als unange-
nehme Störungen auffassen, sie gehören
vielmehr ebenso wie die gegensätzliche
herrschende Richtung — mögen sie auch
quantitativ die schwächeren sein — zum
wahren, lebensvollen Bild des mittelalter-
lichen Menschen. Sie machen die Haupt-
strömung durch ihr Widerspiel lebendig,
führen ihr frisches Blut zu — bei Thomas
wird das ganz deutlich — und geben letzt-
lich den Anstoß zu zukünftigen Entwick-
lungen, worauf Rosenthal mit Recht hin-
weist. „Immer wieder wird sich die An-
tike als Führerin erweisen, wo der Drang
nach Ergründung der endlichen Sichtbar-
keit nicht sogleich aus eigenem Vermögen
befriedigt werden konnte“ (S. 20).
Der sachlichen Sprache entspricht die
Aufmachung des Buches, dem 63 Abbildun-
gen beigegeben sind. Der gründliche Leser
wird sie um ein Vielfaches vermehren müs-
sen. Für eine wohl bald zu erwartende
zweite Auflage wäre ein ausführliches Re-
gister dringend zu wünschen. Bei diesem
Buch, wo man zum Zurückschlagen immer
wieder gezwungen ist, vermißt man es dop-
pelt. Und nur durch genauestes Studium
wird man dieser fleißigen Arbeit gerecht
werden. Wir wünschen ihr die allgemeine
Verbreitung und verständnisvolle Anerken-
nun§3 die sie verdient. Und wünschen der
Kunstgeschichte recht viele Bücher dieser
Art.
A. Stange.

Zu Paul Ganz, Malerei der Frührenais-
sance in der Schweiz. Verlag Buch-
druckerei Berichthaus. Zürich 1924.
Im Vorwort dieses Werkes wird gesagt:
„Das vorliegende Buch ist ein schweizeri-
sches Werk, das von Schweizerkunst und
Schweizergeist handelt.“ Wer den Band un-
befangen durchblättert, wird dem zweiten.
Teil dieses Satzes nur sehr bedingt zustim-
men können. Er wird finden, daß ein gut
Teil der reproduzierten Bilder nicht schwei-
zerisch, sondern deutsch ist. Zumal die bei-
den größten der vertretenen Künstler sind
nicht Schweizer, sondern Deutsche: Kon-
rad Witz und Hans Holbein. In ihren Wer-
ken lebt kein Schweizergeist, ihre Kunst ist
keine Schweizerkunst. Ohne das Konzil, von
dem er sich Aufträge versprach, wäre Witz
gewiß kaum nach Basel gekommen, und
Holbein ist es in der Schweiz relativ bald
zu eng geworden. Also warum diese und
andere deutsche Künstler für die Schweiz
usurpieren? Das ist ein kindlicher nationa-
ler Ehrgeiz und kann vor allem im Ausland
nur komisch wirken. Glücklicherweise dürf-
te Ganz mit dieser seiner Auffassung unter
den Schweizer Kunsthistorikern so ziemlich
allein stehen.
Im Vorwort wird die Publikation als be-
deutende Leistung des schweizerischen
Buchgewerbes hingestellt und — es ist das
nicht gerade sehr bescheiden ,— der Wunsch
ausgesprochen, sie „möge ein bleibendes
Denkmal für die Kunst unseres Landes wer-
den“. Bei aller Anerkennung der buchge-
werblichen Leistung (speziell hinsichtlich
der verwendeten Materialien) muß . denn
doch gesagt werden, daß, was das Ge-
schmackliche anlangt, in der Schweiz schon
wesentlich Besseres hervorgebracht wurde.
— Da ist einmal das Format: Das Werk ist
ein schwerer, unhandlicher Band im Format
der alten Bibeln. Da bei der Luxusausgabe
auch der ganze Einband (mit seinen Metall-
schließen) an die alten Bibeln erinnert, so
wird man den Verdacht nicht los, daß hier
so etwas wie eine schweizerische Kunst-
bibel geboten werden soll. Daß das eine
grobe Geschmacklosigkeit wäre, ist evident.
Einen nicht sehr hohen Geschmack verrät
auch die gewöhnliche Ausgabe mit den
plumpen Lederecken und dem eingepreßten
Goldkopf. Das Gleiche gilt für das Titelblatt.
Die Reproduktionen sind durchaus nicht
durchweg gut. Zudem handelt es sich bei
ihnen, soweit sie schwarzweiß sind, ledig-
lich um Autotypien, die aber, um sie effekt-
voller zu gestalten, ausgeschnitten und auf
dünnen Karton geklebt wurden. Daß die
Ränder solcher Reproduktionen der Be-
schädigung ausgesetzt sind, ist klar. Die

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