Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 17.1925

DOI Heft:
Heft 17
DOI Artikel:
Möbius, Martin Richard: Die Neuerwerbungen der Städtischen Kunstsammlung in Chemnitz
DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.42040#0869

DWork-Logo
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Die Neuerwerbungen der Städtischen
Kunstsammlung in Chemnitz
Mit acht Abbildungen auf fünf Tafeln / Von MARTIN RICHARD MÖBIUS
MAN muß wissen, daß es sich um eine Stadt handelt, deren besonderes
Merkmal ein enormes Wachstum seit der Jahrhundertwende ist, eine
Einwohnerinflation sondergleichen, vom Unternehmertum hervorgerufen. Vor-
her war Chemnitz mittlere Industriestadt ohne künstlerische Tradition und
kulturellen Besitzstand gewesen, Häufung industrieller Anlagen an der Peri-
pherie kleinbürgerlich entwickelter Altstadt. Die Epoche der Mechanisierung
brachte ungeheueren Aufschwung für Handel und Gewerbe. Die Folge war
ein ungemeiner Kapitalzusammenfluß. Riesige Vermögen sammelten sich in
den Händen arrivierter Unternehmer, deren Väter und Großväter noch Hand-
werker gewesen waren. Ganz vereinzelt zeigte sich neben der rastlosen Ein-
stellung auf Vermehrung und Sicherung des Besitzes Neigung zum Sammeln
von Kunstwerken, anfangs aus Gründen der Spekulation, später aus
Schätzung. Eine tragfähige Schicht zur Konzentration von Kunstbesitz in
einer öffentlichen Sammlung bildete sich nicht heraus, nur gelegentliche Zu-
wendungen und Stiftungen kamen der „Städtischen Kunstsammlung“ und der
„Kunsthütte“, dem einzigen Kunstverein, zugute. Dementsprechend enthielten
beide Sammlungen von der Kunst des ig. Jahrhunderts nur einzelne, zufällige
Proben. Von einer Repräsentation der Kunst konnte keine Rede sein. Nie-
mand legte ernstlich Wert darauf, fühlte die Verpflichtung, dafür einzustehen.
Tausende von Maschinen waren in Gang zu halten, das genügte, das ver-
brauchte alle Energien. Kulturell setzte sich nur wenig ab. Die Struktur der
Stadt war gegen die Kultur, verhinderte die Bildung größerer Aktionen zu
deren Gunsten und verurteilte die kleineren zur Aussichtslosigkeit.
Es kam ein Übergang, hervorgerufen durch intensivere Betätigung der
„Kunsthütte“ im Ausstellungs- und Sammelwesen, ermöglicht durch Locke-
rung größerer Geldbeträge zur Anschaffung von Kunstwerken. Noch ergab
sich keine Richtung, kein Plan. Was in der „Kunsthütte“ und in der „Städti-
schen Kunstsammlung“ an Besitz vorhanden war, kam als Ausgangspunkt be-
stimmter Sammeltätigkeit, als Kern einer Galerie nur zum kleinsten Teile in Be-
tracht. Die lokale Kunstleistung war immer durchaus provinziell und ohne Höhe-
punkte gewesen. Es fehlte an einwandfreien Qualitäten, die Grundlagen ab-
gegeben hätten. Als Direktor Schreiber-Weigand, gestützt von einem selten
hilfreichen und einsichtigen, also gottgewollten Dezernenten, neben der Aus-
stellungsleitung der „Kunsthütte“ die Leitung der „Städtischen Kunstsamm-
lung“ übernahm, gab es so gut wie nichts, was ihn aus dem Vorhandenen
heraus zu einem Programm verpflichtet hätte. Zu den geringen Beständen
aus der Malerei des ig. Jahrhunderts kamen einige bedeutendere Werke des
deutschen Impressionismus, vor allem Gemälde von L. Corinth, M. Lieber-
mann, M. Slevogt und W. Roessler. Man kann heute schon sagen, daß damit
im letzten Augenblick durchweg repräsentative Leistungen des Impressionis-
mus der Sammlung eingefügt worden sind. Eine Lücke, die später sehr be-
merkt und jedenfalls niemals so einwandfrei geschlossen worden wäre, ist zu
einer Zeit, wo der Erwerb erster impressionistischer Qualitäten noch möglich
war, aufs glücklichste beseitigt worden.

Der Cicerone, XVII. Jahrg., Heft 17

39

837
 
Annotationen