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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 59.1926-1927

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R.: Rat an einen Bildhauer
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https://doi.org/10.11588/diglit.9182#0136

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Rat an einen Bildliauer

Ihre Köpfe immer so starre, verdrossene Mas-
ken? Warum schlagen Sie in Ihren Akten allen
sinnlichen Formreiz tot zugunsten einer Formen-
bindung, mit der Sie zwar die Aufgabe kunst-
gewerblich „erledigen", aber sich selbst um das
wirksame Ergebnis Ihrer Arbeit prellen? Haben
Sie doch den Mut zu Ihrer eigenen Lebendigkeit!

Und dann: man muß sich als Künstler für die
Formen der Dinge persönlich interessieren.
Wieviele Künstler
sieht man aber heut-
zutage ihrmenschlich-
sinnliches Interesse
an den Formen (die
doch Ereignisse im
Bereich des Tast-
gefühls sind) ver-
leugnen. Heißt das
nicht das wertvollste
Material mit Füßen
treten? — Gerade
gestern sah ich eine
Abbildung des Ro-
din'schen „Homme
qui marche". Ein
Torso ohne Kopf;
aber wie sind die
Formen dieses athle-
tischen Körpers emp-
funden, genossen, ge-
liebt, mit welch bren-
nendem Interesse
liest man sie ab!
Wenn sichderKünst-
ler aber von vorn-
herein auf die For-
men nicht einläßt,
wenn er nicht in
ihnen wühlt wie ein
Geizhals im Ge-
schmeide , wenn er
die Formen und sein
Vergnügen daran
nicht liebt, dann
hat es doch gar kei-
nen Sinn, daß er bild-
hauerisch verfährt.
Vielfach ist es heute
in Bildhauerateliers
üblich geworden,
ohne Modell zu ar-
beiten. Ohne Schul-
meistern gesprochen:
darin liegt ein be-
denkliches Geständ-
nis. Damit geben
diese Künstler zu,

eugen hofemann—dresden. »grossplastik i«

daß sie kein primäres, direktes Verhältnis zur
Form haben, d. h. daß sie im Grunde ohne
Liebe, ohne realen Gegenstand der Liebe arbei-
ten. Wie soll sich dann das Auge des Dritten
für ihr Tun interessieren? Nur mit Wehmut
kann man vom Blickpunkt des Durchschnitts
heutiger Plastik an die Anmut der Steinfiguren
des 18. Jahrhunderts zurückdenken, die noch
zu Hunderten in den alten Parken stehen, an

Alleen aufgereiht,
träumend unter alten

Kas tanienbäumen
oder um bemooste
Wasserbecken. Diese
verliebten Göttinnen
und Nymphen sind
heute noch ihrer Um-
gebung zum Schmuck
und umgekehrt. Ist
nicht jede einzelne
von ihnen hundert-
mal brauchbarer,
freudiger und leben-
stiftender als viele
der verdrießlichen,
ungesunden Kalk-
s teindamen, die heute
das Licht der Welt
erblicken? Zu einem
gewissen Zeitpunkt
muß der Mensch sich
die Frage, wer er ist,
nüchtern und wahr-
heitsgemäß beant-
worten. Sie wissen,
daß ich den gesin-
nungslosen Kitsch auf
den Tod hasse. Aber
das Angenehme und
Freundliche auf dem
Grund des unbestech-
lichen Gesinnungs-
ernstes — das halte
ich gerade heute für
ein erstrebenswertes
undkeineswegs nied-
riges Ziel. Ich könnte
es auch „Positive
Kunst" nennen und
es definieren als eine
Kunst, die den mann-
haften , nüchternen
Entschluß gefaßt hat,
sich aus den lieben-
den u. lebenwol-
lenden Kräften des
Gemüts zu nähren, r.
 
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