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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 59.1926-1927

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Wenzel, Alfred: Die Funktion des Künstlers
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https://doi.org/10.11588/diglit.9182#0234

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Die Funktion des Künstlers

— eine Steigerung erfahren haben, die daran
zweifeln läßt, ob etwa erzielte Ergebnisse einer
abstrahierenden Philosophie Allgemeingut wer-
den können, da zu ihrer Rezeption eben die
Muße still denkender Versenkung gehört, —
deshalb erwächst einer offenbarungshaften
Vermittlung, die uns den Sinn des Seins und
unserer Welt unmittelbar erleben läßt, die
überragende Rolle gerade in unserer Zeit:
und diese Mittlerrolle spielt: die Kunst . . und
deshalb ist sie nicht tot; denn die Kunst, wie
die Kultur überhaupt, stirbt nur, wenn sie keine
Hingabe mehr findet; in
jenem Stadium seelischer
Verödung stirbt dann auch
der Künstler, da er nicht
mehrnotwendigist. — Das,
was wir Intuition nen-
nen, und worunter wir jene
innere Kraft verstehen, die
eine solche Einfühlung in
einen Einzelgegenstand
oder in eine Gesamt Wirk-
lichkeit ermöglicht, daß
sich an ihnen das offen-
bart, was sie an Einzi-
gem und eigentlich Unaus-
drückbarem an sich tragen,

— diese tiefere Art des
Schauens ist es, kraft
deren der Künstler eine
Seinswirklichkeit im
Gesamtaspekt und in ihren
Phänomenen viel tiefer
und viel zwingender erlebt
als andere Menschen; da
die Welt ihm unmittel-
barer ihren eigentlichen
Sinn enthüllt, wird das
Erlebnis in voller Intensität
zur Erkenntnis. — Diese
Erlebniskraft macht wohl
den „künstlerischen Men-
schen" , aber noch nicht den
Künstler aus. An ihm ist
es, nun das, was sich ihm
enthüllte, aus dem Be-
reiche des Einmaligen em-
porzuheben zum produk-
tiven Werte im soziologi-
schen Sinne: durch die Ge-
staltung, zu der sich der
Künstler triebhaft genötigt,
auf ethisch höherer Stufe
sogar verpflichtet fühlt. —
Das, was er mit Augen
sah, die anders und tiefer

sehen als andere Augen, wird zur Form und
erscheint in einer Umsetzung, die — umso
stärker, je reiner und hingegebener eine Künst-
lerpersönlichkeit am Werke war, — im Bilde
eines Zeitlichen den Ewigkeitsgehalt
wahrhafter Wesensschau offenbart und damit
den empfängnisfreudigen Betrachter dort er-
greift, wo auch das Kunstwerk seinen Ausgang
nimmt: im Intuitiven, und ihn damit augen-
blickshaf t in einen Zusammenhang mit den inner-
sten Quellen der Welt und des Seins bindet.
— Der moderne Mensch verlangt, mehr als man
glaubt, nach solcher wah-
ren Kunst. Und mag man
sich historisch betrachtend
bereits auf absteigender zi-
vilisatorischer Linie sehen,
oder an eine neue Herr-
schaft des Geistes über das
Mechanische glauben: in
jedem Falle besteht das
Kunstwerk als ein Not-
wendiges, als die wesent-
lichste, zusammenfassend-
ste Gestaltung eines Wirk-
lichkeitsgehaltes. Diese im
höchsten Sinne repräsen-
tative Aufgabe bleibt für
alle Zeiten: die Funktion
des Künstlers. — a.w.


Es ist ein seltsamer, aber
überall verbreiteter Irr-
tum, daß das Kunstwerk
jedem Betrachter ohne wei-
teres, gleichsam durch sein
bloßes Dasein gefallen
müsse, und dieses jeder
näheren Begründung ent-
behrende Gefallen wird
dann zumeist ganz naiv als
der einzige Maßstab des
Urteils über Wert und Un-
wert eines Kunstwerks be-
trachtet. — Und ist denn
die Schönheit wirklich das
letzte Ziel der Kunst? —
Gottfr. Semper, der große
Architekt, hat es einmal
treffend ausgesprochen:
„Darstellung des Schönen
soll nie Zweck des Kunst-
werks sein. Schönheit ist
eine notwendige Eigen-
schaft des Kunstwerks, wie
die Ausdehnung der Kör-

joh. schiffner—berlin. »stehender KNAJ1E«

per

m. sauerland.

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