KLASSIKER DER FRANZÖSISCHEN MODERNE
DIE GALERIEN THANNHAUSER IM BERLINER KÜNSTLERHAUS
Wir haben in Berlin zurzeit eine Hochflut
französischen Imports. Es ist ein bißchen
reichlich, und mitunter fragt man sich, ob die
Pariser nicht ein wenig lächeln über den hem-
mungslosen Übereifer, der plötzlich bei uns
ausgebrochen ist.
Aber wenn nun die Galerien Thann-
hauser-München, Luzern, die, ähnlich wie im
vorigen Jahre Heinemann,Tuchfühlung mit Berlin
suchen, mit einer großen französischen Ausstell-
ung auf den Plan treten (der im Februar eine
deutsche Schau folgen soll) und dabei eine so
außerordentliche, überragende Sammlung von
Werken des 19. Jahrhunderts bis in unsere Gegen-
wart aufreihen, so gibt man sich doch wieder
schnell gefangen. Nicht nur daß der ganze blen-
dende Reigen vor uns auftaucht, der sich von
Delacroix über Millet, Courbet und die Impres-
sionisten bis zu den Bekennern neuer Gedan-
ken in der jüngsten Vergangenheit und in unseren
Tagen schlingt: fast alle diese Stationen werden
in dieser Ausstellung auch durch gültige Werke
von bleibender Bedeutung angezeigt.
Es ist immer ein neues, imposantes Schau-
spiel, Werdegang und Aufstieg der französischen
XXX. Mütz 1927. 1
Malerei vom Tage der Auflehnung gegen den
Klassizismus an zu verfolgen. In dieser Auf-
einanderfolge bedeutender und originaler Per-
sönlichkeiten stecken Bewegung und Rhythmus
eines packenden Dramas, das fabelhaft kompo-
niert ist. Denn es klafft keine Lücke. Logisch
folgt ein Akt der Entwicklung aus dem vorauf-
gegangenen. Man genießt den faustischen An-
blick, „wie Himmelskräfte auf- und nieder-
steigen und sich die goldenen Eimer reichen".
Bei aller Mannigfaltigkeit der Erscheinungen
bleibt die Tradition einer unvergleichlichen
malerischen Kultur das Gesetz, dem sie sich
alle beugen. Da ist ein Blumenstilleben von
Delacroix (man sieht dergleichen nicht oft) —
und nun beobachtet man, wie sich die Verbin-
dungslinie eines tiefen Zusammenhangs von hier
bis zu dem zauberhaften Bilde gleichen Themas
von Renoir zieht, das in dem beseelten Akkord
seiner zart hingesetzten rötlichen, gelblichen,
blaßgrünen und weißen Werte aus einer ganz
anderen Auffassung vom Wesen des farbigen
Ausdrucks geboren ward. Über ein Jahrhundert
hin spannt sich die Kette, in deren Verschrau-
bungen kein Glied fehlt................
DIE GALERIEN THANNHAUSER IM BERLINER KÜNSTLERHAUS
Wir haben in Berlin zurzeit eine Hochflut
französischen Imports. Es ist ein bißchen
reichlich, und mitunter fragt man sich, ob die
Pariser nicht ein wenig lächeln über den hem-
mungslosen Übereifer, der plötzlich bei uns
ausgebrochen ist.
Aber wenn nun die Galerien Thann-
hauser-München, Luzern, die, ähnlich wie im
vorigen Jahre Heinemann,Tuchfühlung mit Berlin
suchen, mit einer großen französischen Ausstell-
ung auf den Plan treten (der im Februar eine
deutsche Schau folgen soll) und dabei eine so
außerordentliche, überragende Sammlung von
Werken des 19. Jahrhunderts bis in unsere Gegen-
wart aufreihen, so gibt man sich doch wieder
schnell gefangen. Nicht nur daß der ganze blen-
dende Reigen vor uns auftaucht, der sich von
Delacroix über Millet, Courbet und die Impres-
sionisten bis zu den Bekennern neuer Gedan-
ken in der jüngsten Vergangenheit und in unseren
Tagen schlingt: fast alle diese Stationen werden
in dieser Ausstellung auch durch gültige Werke
von bleibender Bedeutung angezeigt.
Es ist immer ein neues, imposantes Schau-
spiel, Werdegang und Aufstieg der französischen
XXX. Mütz 1927. 1
Malerei vom Tage der Auflehnung gegen den
Klassizismus an zu verfolgen. In dieser Auf-
einanderfolge bedeutender und originaler Per-
sönlichkeiten stecken Bewegung und Rhythmus
eines packenden Dramas, das fabelhaft kompo-
niert ist. Denn es klafft keine Lücke. Logisch
folgt ein Akt der Entwicklung aus dem vorauf-
gegangenen. Man genießt den faustischen An-
blick, „wie Himmelskräfte auf- und nieder-
steigen und sich die goldenen Eimer reichen".
Bei aller Mannigfaltigkeit der Erscheinungen
bleibt die Tradition einer unvergleichlichen
malerischen Kultur das Gesetz, dem sie sich
alle beugen. Da ist ein Blumenstilleben von
Delacroix (man sieht dergleichen nicht oft) —
und nun beobachtet man, wie sich die Verbin-
dungslinie eines tiefen Zusammenhangs von hier
bis zu dem zauberhaften Bilde gleichen Themas
von Renoir zieht, das in dem beseelten Akkord
seiner zart hingesetzten rötlichen, gelblichen,
blaßgrünen und weißen Werte aus einer ganz
anderen Auffassung vom Wesen des farbigen
Ausdrucks geboren ward. Über ein Jahrhundert
hin spannt sich die Kette, in deren Verschrau-
bungen kein Glied fehlt................