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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 59.1926-1927

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Kuhn, Alfred: Die Beurteilung von Plastik
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https://doi.org/10.11588/diglit.9182#0362

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Die Beurteilung von Plastik

MAGDALENE KRESSNER—BERLIN

»LIEGENDE FRAU« GIPS

Wohl sind die Dinge in den letzten Jahren etwas
ins Wanken geraten: Eine neue Kunst kündet
sich an, die eine neue Anschauung vom Maler-
ischen ihr eigen nennt, aber auch da sind Ver-
bindungslinien mit der Vergangenheit genug
vorhanden, um noch immer das Kriterium des
„Malerischen", wenn auch abgewandelt, be-
stehen zu lassen. Ganz anders bei der Plastik.
Hier ist die Beurteilung wesentlich schwieriger.
Wie soll das ästhetische Fundament gelegt
werden? Welche Plastik ist gut? Welche ist
technisch organisch? Rodin ist zweifelhaft ein
Genie ohnegleichen, aber ist er auch ein guter
Plastiker? Hildebrand hat die Skulptur zu ihrer
Quelle zurückgeführt, er hat die Gesundung des
ganzen Handwerks eingeleitet. Aber ist er des-
halb ein großer Künstler gewesen? Sind seine
Skulpturen nicht bei aller Richtigkeit unverhält-
nismäßig schwächer im Künstlerischen wie jene
Rodins? Wie hat man sich zu Werken eines
Belling zu stellen? Bricht hier nicht das ganze
ästhetische Fundament zusammen, das mühsam
gezimmert worden ist mit den Begriffen „male-
risch" und „plastisch", „Sehwert" und „Tast-
wert" ? Seine absolute Raumplastik ist doch
gewiß nicht tastbar.

Trotz und alledem muß die Kritik ästhetisch
fundamentiert sein. Es genügt nicht, die Dinge,
wie Herder sagen würde, zu „erahnden", es
genügt auch nicht, in eine poetische Sprache sie
nachtastend zu transponieren und so ihren poe-
tischen Wesensgehalt dem Publikum näherzu-
bringen. Es muß schon feste Punkte geben, an
denen der Kritiker sich aufstellen kann. Damit
ist nicht Beckmesserei das Wort geredet und

auch nicht normativer Ästhetik. Zur Norm
kommt noch immer das Imponderabile des Zeit-
geistes und erst recht das gänzlich Unwägbare
des Genies. Das Genie schafft sich seinen Aus-
druck auf jeden Fall. Es ist auf der einen Seite
der letzte und höchste Exponent des Zeitge-
nössischen, sein Sprachrohr aber greift auf der
anderen Seite schon wieder darüber hinaus,
sein eigenes Gesetz sich gebend.

Ziehen wir ein Fazit, so erkennen wir, daß
die Kritik sich bei der Beurteilung der Plastik
mit drei Punkten auseinanderzusetzen hat, mit
den ästhetischen Grundlagen des Mate-
rials, mit der Gerichtetheit des Zeit-
geistes und mit dem Überraschungsfaktor
des Genies. Keinen einzigen darf sie außer
acht lassen, will sie gerecht sein.

Betrachten wir die einzelnen Faktoren nach-
einander. Die Plastik rechnet mit Metall, Holz
und Stein. Arbeitet sie direkt in Metall? Sehr
selten. Eigentlich nur in der allerletzten Zeit
ist es vorgekommen, daß der Bildhauer in
Anlehnung an kunstgewerbliche Tradition direkt
aus dem Metall heraus gebildet hat, daß er
einen Kopf getrieben oder gehämmert wie eine
Brosche, eine Schale oder einen antiken Helm.
Normalerweise entsteht ein Modell in Ton,
Plastilin oder Wachs, das mit den Händen zu-
sammengeknetet wird. In die davon abgenom-
mene Hohlform wird flüssig das Material ge-
gossen, sei es Bronze, Eisen, Silber oder.Gold.
Durch diese Zweiteilung des künstlerischen
Prozesses entsteht die Neutralisierung des
Materials. Man kann mit dem Guß sowohl
die schweren und monumentalen Formen des
 
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