Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Badener Lazarett-Zeitung (Nr. 1-58[?]) — Baden-Baden, Juli 1916 - Dezember 1918

DOI chapter:
Hefte 29-30, September 1917
DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.2827#0174

DWork-Logo
Overview
loading ...
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
eLr«r»tt-Leitung

Not deS Vaterlandes daz« zwang; heutzutage er-
tönt derselbe Ruf nur zur Befriedigung persön-
lichen kriegerischen EhrgeizeS. der durch die Ein-
fiüsterungen EnglandS geschickt aufgestachelt worden
ist. wofür dieses seinen Lohn durch einen hart-
näckig gewollten Sieg zu erhalten hofft.

Anderseits kSwpfte Frankreich imJahre 1870/71
in vollster NnabhSngigkeit, ohne anderes Gesetz,
als ihm die Möglichkeiten vorschneben, ohne andern
Führer, alS die Bedürfniffe seiner Lage, während
seine gegenwärtigen unklugen Führer es dem englisch-
russischen Willen seit Beginn des Krieges auf engste
verbunden haben. Es scheint zwar gleichberechtigt
zu sein, doch ist dies nur eine Täuschung; tatsäch-
lich ist es der Basalle dieser Völker und kann ohne
deren Einwilligung nicht mehr selbst über sein
Schicksal entscheiden. Und doch sind ihre Tradi-
tionen, ihre politische Lage und ihre Jnterefsen den
seinigen völlig ungleich, wenn nicht ganz entgegen-
gesetzt. — Deshalb scheint es. als ob der edle
Beweggrund, wegen deffen wir angeblich für die
nationale Verteidigung zu den Waffen gegriffen
haben. der aber diesem Charakter, entgegen dem-
jenigen des Krieges 1870/71, bei Kriegsausbruch
uicht gehabl hat, nichts weiter sei, als ein ruch-
loser Vorwand, um die wahnwitzigen Ziele unserer
Staatsmänner zu decken. ä.

Sawinkow.

Eigenartige Scherze. mit denen die Franzosen
sich jetzt belustigen, bringt der Lri cle pgris: „Sa-
winkow, der im Anfang dieses Jahres in Paris
ein Dasein in Dunkel und Elend führte, ist jetzt
in Rußland die rechte Hand Kerenskis geworden.
Jhm fällt die sast erdrückende, aber ruhmvolle
Aufgabe zu, daS Heer mit neuem Geiste zu er-
füllen. Vor einigen Wochen wurde erzählt, daß
Gustav Hervö eines Tages Anatole France einen
ihm befreundeten Ruffen mit den Worten vor-
gestellt habe: „Mein Freund F., Mörder". Da-
mals wurde aus Zartgefühl der Name des
Freundes nicht mitgeteilt. Heute kann man es
tun, da Herve in der Victoire an die Altentate der
Terroristen erinnert, an denen Sawinkow beteiligt
war. Die Geschichte verlief so: „Mein Freund
Sawinkow, Mörder", sagte Herve ohne weitere
Umschweife. „Höchst ersreut, mein Herr", erwiderte
Anatole France und drückte Sawinkow höflich die
Hand. Dieser lächelte. „Jch werde Herve beauf-
tragen, mir 100 Visitenkarten drucken zu lassen".
„Und wen haben Sie ermordet?" fragte der Dichter
der „Thais" höchst interessiert. „Herrn v. Plehwe
und den Großfürsten Sergius", fiel Herve ein.
„Hm, Hochwild also", bemerkte Anatole France..
Jn Wirklichkeit erscheint Sawinkow durchaus nicht
als blutdürstiger Mensch. Er sieht sogar sehr
sanft aus und ist fast schweigsam. Er hat eine
sehr zarte Gefundheit, denn er hat in Rußland
als gehetztes Wild gelebt und wurde in den
Gefängniffen, in denen er schmachtete, hart be-
handelt. Seitdem scheint er sich immer in sich
selbst zurückzuziehen, als wolle er unbemerkt bleiben.
Sein Gesicht ist unbeweglich und erscheint gleich-
gültig. Er hat sich dazu erzogen. stets eine undurch-
dringliche Miene zur Schau zu tragen. Nur seine
Augen sind beweglich und verlieren nichts von
dem, was in seiner Umgebung geschieht. Er war
in Frankreich als sehr tätiger Terrorist bekannt,
und dieser Ruf war durchaus nicht übertrieben...

8.

Voche und bougre.

Während die Bezeichnung boche für den
Deutschen erst seit einigen Jahren in Frankreich
aufgekommen ist, haben, so schreibt die „Ost-
europäische Zukunft", unsere Verbündeten, die Bul-
garen, schon seit vielen Jahrhunderten die Ehre,
mit ihrer Volksbezeichnung im Französischen zum
Schimpfworte geworden zu sein. Bougre ist
emer der gemeinften Schimpfworte in Frankreich,

übrigenS auch von Napoleon viel gebraucht. Es
bedeutet und ist entstanden aus bulgare. Man
erinnere sich, daß die ketzerischen Albigenser in Süd-
frankreich im 12. Jahrhundert in jahrzehntelangen
Kreuzzügen unterworfen und zum Teil vertilgt
wurden: die ganze Welt war gegen sie aufgeboten,
wie heute die ganze Welt gegen Deutschland; der
Hauptgrund war auch weniger das Ketzertum der
Albigenser, als ihre wirtschaftliche Blüte
und Obmacht. Jhr Glaube enthielt wesentliche
Momente des Manichäismus; diese waren durch
Vermittlung der Bulgaren über Jtalien und Süd-
frankreich gelangt. Da das Ketzertum der Albi-
genser von größter Bedeutung für die Reformation
wurde. so haben somit die Bulgaren, die bereits
am 11. Jahrhundert ketzerischerweise Lehren des
Manichäismus angenommen hatten, ein Verdienst
um die geistige und Denkfreiheit Europas. Eben
diese Vermittlung keherischer Lehre sihrer Vertreter
nannten sich die Reinen, Kathari, woraus GaMri
und Ketzer wurde), trug den Bulgaren bei den
Franzosen Haß und Schimpfung ein: bulgare,
das hieß Keher und aus bulgare wurde bougre:
Schimpf und Ehre zugleich.

Merkblatt fur Rriegsinvalide.

1. Der durch Kriegsoerwundung Verstümmelte
oder am sreien Gebrauch seiner Gliedniaßen
Behinderte kann wieder arbeiten lernen, wenn
er selbst den festen Willen zur Arbeit hat.

2. Es soll daher keiner den Mut sinken lassen
und an seiner Zukunft verzweifeln; er mȧ
sich nur ernstlich bemühen, den ärztlichen Vor-
schristen voll nachzukommen und die not-
wendigen Uebungen mit Eifer und Ausdauer
betreiben.

3. Selbst derjenige. dem ein oder mehrere Glied-
maßen fehlen, kann mit geeigneten künstlichen
Gliedern, die ihm die Heeresverwaltung liefert,
häufig, ja meistens in seinem alten Berus
wieder tätig sein, wenn er sich genügende
Mühe gibt, das ihm Verbliebene in richtiger
Weise auszunützen und den Gebrauch der
künstlichen Glieder zu lernen. Die Heeres-
verwaltung wird ihm mit allen Mitteln die
Wege dazu ebnen.

4. Und wer in seinem früheren Beruf nicht wieder
tätig sein kann, kann sicher in einem anderen
Beruf noch etwas leisten, nur muß er es sich
nicht verdrießen laffen, mit Tatkraft und
Fleiß sich in die neue Beschäftigung einzuleben.

5. Jeder, der es bedarf, wird sachverständigen
Rat sür die Wahl eines Berufes schon im
Lazarett finden und nach seiner Entlassung
Gelegenheit haben, sich in geeigneten Fachschulen
usw. für einen neuen Beruf vorzubereiten oder
in seinem alten Beruf wieder einzuarbeiten.

6. Jeder hüte sich darum, sich als ein unnützes
Glied der Gesellschaft zu betrachten, er setze
von Anbeginn seinen Stolz darein, trotz der
für das Vaterland erlittenen Verluste sobald
wie möglich wieder ein schaffendes und er-
werbendes Glied feiner Familie zu werden.

7. Es vermeide jeder, sei er verwandt oder be-
freundet, einen Verstümmelten in falschbetätig-
tem Milleid nur immer zu bedauern und
seine Hilflosigkeit zu beklagen. Bei aller herz-
lichen Teilnahme richte er ihn vielmehr auf,
stärke er ihm das Vertrauen auf eine beffere
Zukunst, die Hoffnung auf ein selbständiges
Erwerbsleben, wie es dank der heutigen ärzt-
lichen Kunst, dank der heutigen Technik und
dank des sozialen vaterländischen Sinnes
unseres Volkes, der Arbeitgeber wie der
Arbeitnehmer, für fast alle, auch die Schwerst-
betroffenen erreichbar ist.

Hrlfe jeder sn srinem Teile dazn!

Htarker Wille führt inm Ziel!

Jeder Kriegsinvalide, der-des Rates und der
Hilfe bedarf, wende sich vertrauensvoll an den

..Badijchen Heimatdank"

Bezirksausschuß Baden
(Bezirksamt)

an die örtlichen Fürforgestellen in den Land-
gemeinden des Amtsbezirks Baden und in der
Stadt Baden (Rathaus)

an die Berufsberatungsstelle des „Badischen
Heimatdanks" hier

oder an den militärischen Lazarett-Arbeitsnachweis,
(Gr. Amtsgericht, Vincentistr. 5, Telefon Nr. lbl.)

Vergünstigungrn,

welche die in den Lazaretten in der Stadt
Baden-Baden untergebrachten kranken und
verwundeten Soldaten genießen:

l- Aurhaus. Freier Eintritt in den Kurgarten
und unentgeltlicher Besuch der gewöhnlichen
Konzerte daselbst und im Kursaal. Besuchs-
erlaubnis nach besonderen Bestimmungen des
Reserve-Lazaretts.

2. Städtische Lichtspielbühne. Täglich 30 freie

Sitzplätze, deren Verteilung das Lazarett
bestimmt. Besuchsanträge an den behandeln-
den Arzt. Bei sonstigen Besuchen Preiser-
mäßigung in den vordersten Sitzreihen auf
2b Pfg. pro Person.

3. veutsche Uunstausstellung Lichtentaler

Mlee 8'. Freier Zutritt für Soldaten
in Uniform. Täglich 10—6 Uhr, Sonntags
11—6Uhr. (Wiedereröffnung 17. März 1917.)

4. Fahrt aus den Merkurius. Einmalige

Freifahrt auf den Merkurius für jeden
kranken und verwundeten Soldaten wäh-
rend seines Aufenthalts in einem Lazarett
der Stadt Baden-Baden. Anträge der
Kranken sind an den behandelnden Ärzt zu
richten.

5. Straßenbahn. Benützung der Straßenbahn

für eine beliebig lange Strecke zum Preise
von 15 Pfg.

6. Soldatenheim des Roten Rreuzes. Täglich

geöffnet von 2—6 Uhr nachmittags; Ver-
abreichung von Kaffee, Tee, Schokolade, Kakao
und alkoholsteien Getränken zu ganz mäßigem
Preis. Spiel- und Lesegelegenheit, Klavier-
benützung; besondere Abteilungen: 1. Hand-
fertigkeitsunterricht; 2. Werkstätte für

Schreinerei- und kunstgewerbliche Arbeiten.
Besuchserlaubnis erteilt der leitende Arzt
nach den besonderen Bestimmungen des
Reserve-Lazaretts.

7. Unentgeltliche Rechtsauskunft. Werktags

von 3 bis 6 Uhr nachmittags bei den Herren
Rechtsanwälten vr. Ernst Herrmann,
Langestr. 60, vr. Julius Höwig, Augusta-
platz 2, und August S chäfe r, Sophienstr.29.

8. Rriegsinvaliden - Fürsorge. Beratung der

Kriegsinvaliden (auch der aus dem Lazarett
noch nicht entlassenen, kranken und verwundeten
Soldaten) in allen sie betreffenden Angelegen-
heiten, insbesondere Berufsberatung. (Siehe
„Berufsberatungsstelle".)

y. Unterricht im Rechnen, Geschäftsführung usw.,
Montags und Donnerstags nachmittags von
5 bis 6 h, Uhr, im Vincentischulhaus nach
den besonderen Bestimmungen des Reserve-
Lazaretts.

Für die Schriftleitung der Beilage verantwortlich:
Stadtrat H. Koelblin, Stefanienstr. 3. Bnden-Baden
Druck: E. Kölblin, Hofbuchdruckerei, Badcn Baden.
 
Annotationen