Er. 12. HEIDELBERGER 1850.
JAHRBÜCHER DER LITERATUR.
Der CSesehielitsiiiiterrielit auf Schulen.
(Fortsetzung.)
Durch die klare Darlegung der Feudalzuslände und des Zunftwe-
sens wird die Lage des Volks ins wahre Licht gesetzt; und wie wenig
glücklich auch das Loos des geringen Mannes erscheinen mag, ein ver-
gleichender Blick auf die alte Welt wird den grossen Fortschritt beur-
kunden, den die mildernde Kraft des Christenlhums in den untern Volks-
klassen geschaffen.
Vergleicht man die drei mittelalterlichen Stände: den Lehr-, Wehr-
und Nährstand, mit den alten Kasteneinrichtungen, so erkennen wir schon
darin einen Uebergang zur freien Mischung, dass der Klerus nicht wie
der alte Priesterstand eine in sich abgeschlossene und sich selbst ergän-
zende Kaste bildet, sondern indem er seine Glieder aus den beiden an-
dern Ständen entnimmt, eine vermittelnde und versöhnende Stellung er-
hält. Was aber den Stand der Leibeigenschaft und Hörigkeit betrifft,
so erscheint hier der Mensch nie so elend und herabgewürdigt, wie der
Sclavenstand im freien Alterlhum; das Christenlhum ehrt den Menschen
auch im niedrigsten Knechte und legt dem Gebieter Pflichten der Pietät
auf, die dem heidnischen Herrn unbekannt waren; der leibeigene Knecht
war zwar an die Scholle gefesselt, aber er konnte nicht verkauft wer-
den, und die Kirche, in der ersten Zeit der warmen Liebe, nahm den
Armen unter ihren Schutz und speiste, kleidete und tröstete ihn. Auch
der Handwerker in den Städten war durch manche Schranke gefesselt;
und es erforderte viele Mühe und Anstrengung bis ein geschickter Ar-
beiter das Meisterrecht erwarb; die persönliche Freiheit war durch tau-
senderlei Bestimmungen und Formalitäten eingeengt, und doch fehlte es
nicht an Freude und Glück; und doch herrschte in den Städten ein fröh-
liches Leben, „in Ehren und in Sittsamkeit.“ Wenn dem denkenden Jüng-
ling solche Verhältnisse vor die Seele geführt werden, wird er die so-
cialen Fragen des Lebens verstehen lernen und sich nicht durch Gewebe
trügerischer Systeme bestricken lassen. Er wird aus der Geschichte al-
er Zeiten erkennen, dass während des Erdenlebens eine Gleichheit der
Menschen nicht möglich ist; dass es Lastträger der Gesellschaft geben
XLIII. Jahrg. 2. Doppelheft. 12
JAHRBÜCHER DER LITERATUR.
Der CSesehielitsiiiiterrielit auf Schulen.
(Fortsetzung.)
Durch die klare Darlegung der Feudalzuslände und des Zunftwe-
sens wird die Lage des Volks ins wahre Licht gesetzt; und wie wenig
glücklich auch das Loos des geringen Mannes erscheinen mag, ein ver-
gleichender Blick auf die alte Welt wird den grossen Fortschritt beur-
kunden, den die mildernde Kraft des Christenlhums in den untern Volks-
klassen geschaffen.
Vergleicht man die drei mittelalterlichen Stände: den Lehr-, Wehr-
und Nährstand, mit den alten Kasteneinrichtungen, so erkennen wir schon
darin einen Uebergang zur freien Mischung, dass der Klerus nicht wie
der alte Priesterstand eine in sich abgeschlossene und sich selbst ergän-
zende Kaste bildet, sondern indem er seine Glieder aus den beiden an-
dern Ständen entnimmt, eine vermittelnde und versöhnende Stellung er-
hält. Was aber den Stand der Leibeigenschaft und Hörigkeit betrifft,
so erscheint hier der Mensch nie so elend und herabgewürdigt, wie der
Sclavenstand im freien Alterlhum; das Christenlhum ehrt den Menschen
auch im niedrigsten Knechte und legt dem Gebieter Pflichten der Pietät
auf, die dem heidnischen Herrn unbekannt waren; der leibeigene Knecht
war zwar an die Scholle gefesselt, aber er konnte nicht verkauft wer-
den, und die Kirche, in der ersten Zeit der warmen Liebe, nahm den
Armen unter ihren Schutz und speiste, kleidete und tröstete ihn. Auch
der Handwerker in den Städten war durch manche Schranke gefesselt;
und es erforderte viele Mühe und Anstrengung bis ein geschickter Ar-
beiter das Meisterrecht erwarb; die persönliche Freiheit war durch tau-
senderlei Bestimmungen und Formalitäten eingeengt, und doch fehlte es
nicht an Freude und Glück; und doch herrschte in den Städten ein fröh-
liches Leben, „in Ehren und in Sittsamkeit.“ Wenn dem denkenden Jüng-
ling solche Verhältnisse vor die Seele geführt werden, wird er die so-
cialen Fragen des Lebens verstehen lernen und sich nicht durch Gewebe
trügerischer Systeme bestricken lassen. Er wird aus der Geschichte al-
er Zeiten erkennen, dass während des Erdenlebens eine Gleichheit der
Menschen nicht möglich ist; dass es Lastträger der Gesellschaft geben
XLIII. Jahrg. 2. Doppelheft. 12