Nr. 31. HEIDELBERGER 1850.
JAHRBÜCHER DER LITERATUR.
Das Leben des Ministers Freiherrn von Stein. Von G. H. Pertz. Erster
Theil. 1757 bis 1807. Berlin, bei Reimer. 1849. gr. 8. Vorrede X.
S. 589 nebst den Beilagen»
Gründliche und etwas umfangreiche Geschichtswerke sind seit zwei
Jahren in dem sonst dazu neigenden und schreibseligen Teutschland eine
wirkliche Seltenheit geworden; Alles drängt zur unmittelbaren That hin,
zu quasirevolutionären Bewegungen und hemmenden, reactionären Ge-
gensätzen derselben; viele Historiker und Juristen, eisgraue Triarier und
mit dem ersten Flaum geschmückte Veliten befinden sich auf ununterbro-
chenen Reisen; sie machen auf Kosten des zahlenden Volksin Geschichte
und Staatsrecht, in Parlamenten, Ständeversammlungen, Broschüren und Zei-
tungsartikeln; sie schaffen mit, wie gerühmt wird, an dem Webstuhl der
Zeit, an der verjüngenden Wiedergeburt des Vaterlandes und der Mensch-
heit; ihnen genügt nicht das bescheidene Lob des Dar st eile ns, sie er-
streben auch den Ruhm des Handelns*), etwa Cäsar oder Fried-
rich dem Grossen gleich; die Verbindung des preiswürdigen Thatens
und Redens, des Sallustischen Reipublicae bene facere und bene dicere
gewährt einen doppelten Lorbeer. So hat z. B. der kostspielige, unfrucht-
bare, verfassunggebende Reichstag zu Frankfurt bereits manchen Mitarbei-
ter zu weitschichtigen Denkwürdigkeiten, Betrachtungen und Schildereien
veranlasst, welche das wissbegierige Publikum mit wahrhaftem Heisshunger
verschlingt. Ja, die neue, in Halle erscheinende Monatsschrift hofft, dass
erst mit dem gescheiterten Parlament eine ächt nationale Historiographie
und Poesie der Teutschen beginnen werde. — Aehnliches erwartet man
von der jüngsten, nach Erfurt geladenen, verfassunggebenden Tagefahrt.
Der ersehnte Bundesstaat, meinte ein begeisterter Redner, wird, wenn auch
kaum geboren, ähnlich dem Herkules (mit der Spindel?) die das Wiegenkind
umzischenden Schlangen erdrücken. „Sprach’s und unendlicher Jubel er-
scholl, es kracht’ der Olympos.“ Noch höher versteigt sich die dem entzünd-
♦) So spricht sich z. B. die selbstgefällige Hetärie der Deutschen
(After-) Zeitung aus: „Man muss die Geschichte nicht bloss aufzuzeich-
nen, sondern ihren Gang selbst nach Kräften mitzubestimmen streben.“ —
Und bei dem ersten Kanonenschuss gehts nach Heppenheim und Amorbach. —
(Deutsche Zeitung Nr. 84. 1850.)
XLIII. Jahrg. 4« Doppelheft.
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JAHRBÜCHER DER LITERATUR.
Das Leben des Ministers Freiherrn von Stein. Von G. H. Pertz. Erster
Theil. 1757 bis 1807. Berlin, bei Reimer. 1849. gr. 8. Vorrede X.
S. 589 nebst den Beilagen»
Gründliche und etwas umfangreiche Geschichtswerke sind seit zwei
Jahren in dem sonst dazu neigenden und schreibseligen Teutschland eine
wirkliche Seltenheit geworden; Alles drängt zur unmittelbaren That hin,
zu quasirevolutionären Bewegungen und hemmenden, reactionären Ge-
gensätzen derselben; viele Historiker und Juristen, eisgraue Triarier und
mit dem ersten Flaum geschmückte Veliten befinden sich auf ununterbro-
chenen Reisen; sie machen auf Kosten des zahlenden Volksin Geschichte
und Staatsrecht, in Parlamenten, Ständeversammlungen, Broschüren und Zei-
tungsartikeln; sie schaffen mit, wie gerühmt wird, an dem Webstuhl der
Zeit, an der verjüngenden Wiedergeburt des Vaterlandes und der Mensch-
heit; ihnen genügt nicht das bescheidene Lob des Dar st eile ns, sie er-
streben auch den Ruhm des Handelns*), etwa Cäsar oder Fried-
rich dem Grossen gleich; die Verbindung des preiswürdigen Thatens
und Redens, des Sallustischen Reipublicae bene facere und bene dicere
gewährt einen doppelten Lorbeer. So hat z. B. der kostspielige, unfrucht-
bare, verfassunggebende Reichstag zu Frankfurt bereits manchen Mitarbei-
ter zu weitschichtigen Denkwürdigkeiten, Betrachtungen und Schildereien
veranlasst, welche das wissbegierige Publikum mit wahrhaftem Heisshunger
verschlingt. Ja, die neue, in Halle erscheinende Monatsschrift hofft, dass
erst mit dem gescheiterten Parlament eine ächt nationale Historiographie
und Poesie der Teutschen beginnen werde. — Aehnliches erwartet man
von der jüngsten, nach Erfurt geladenen, verfassunggebenden Tagefahrt.
Der ersehnte Bundesstaat, meinte ein begeisterter Redner, wird, wenn auch
kaum geboren, ähnlich dem Herkules (mit der Spindel?) die das Wiegenkind
umzischenden Schlangen erdrücken. „Sprach’s und unendlicher Jubel er-
scholl, es kracht’ der Olympos.“ Noch höher versteigt sich die dem entzünd-
♦) So spricht sich z. B. die selbstgefällige Hetärie der Deutschen
(After-) Zeitung aus: „Man muss die Geschichte nicht bloss aufzuzeich-
nen, sondern ihren Gang selbst nach Kräften mitzubestimmen streben.“ —
Und bei dem ersten Kanonenschuss gehts nach Heppenheim und Amorbach. —
(Deutsche Zeitung Nr. 84. 1850.)
XLIII. Jahrg. 4« Doppelheft.
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