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Sr. 60. HEIDELBERGER 1850.
JAHRBÜCHER DER LITERATUR.

Kurze Anzeigen.

(Schluss.)
Das Grundübel der wissenschaftlichen und sittlichen Bildung in den gelehrten An-
stalten des preussischen Staats von F. II. Th. All ihn, Privatdozenten
zu Halle. — Den einsichtigen Mitgliedern der preussischen Kammern zur
Erläuterung der Unterrichts frage vorgelegt. — Halle, Verlag von R. Mühl"
mann, 1849. S. 176 in 8.
Diese Schrift bietet in fliessender und leicht verständlicher Rede viel In-
teressantes und Lehrreiches, das u. A. die jetzigen Mitglieder der preussischen
Kammern ebenso gut beherzigen dürfen, als die frühem, denen es eigentlich
vorgelegt wurde. Denn die hier besprochenen Zustände sind noch immer ge-
genwärtige. Der Titel lässt freilich nicht mit voller Sicherheit errathen, was hin-
ter ihm folgen wird. Im ersten Abschnitte, der überschrieben ist: „Worauf
kommt es an?“ S. 6—24, bahnt sich der Verf. in seinem Thema erst den Weg.
Er erörtert nämlich, dass die hochgepriesenen konstitutionellen Verfassungsformen
nach französischem Zuschnitt keineswegs die Bedingungen für einen sichern
Rechtsbestand und für einen ruhigen, immer zum Bessern gehenden Fortschritt
des Staatslebens in sich tragen. Immer hat der Fürst trotz aller Beschränkun-
gen die Executive und damit die Macht in seinen Händen. Papierene Konsti-
tutionen können gegen die Uebergriffe der Fürsten keine Garantie bieten. Und
für wen die Natur der Sache noch nicht deutlich genug spricht, der fasse die
konstitutionellen Erfahrungen in Frankreich nnd Deutschland seit 60 Jahren
in die Augen. Vollends aber fehlt es an einer Garantie gegen die Kammern
selbst, worauf es auch in jenen Verfassungen nichts weniger als abgesehen ist.
Im Gegentheil, die Kammern werden ihrer innern Bestimmung nach und durch
den Ehrgeiz, die Herrschsucht und sonstige Leidenschaften ihrer Führer immer
weiter fortgetrieben in der Richtung gegen Fürst und Regierung. Sie suchen
bewusst und unbewusst den Schwerpunkt der Regierung geradezu in sich selbst
zu versetzen, oder mit dürren Worten gesagt, sie streben die Fürsten der Sou-
veränität zu entkleiden, indem sie unter dem scheinsamen und beschönigenden
Panier der sogenannten Volkssouveränität für Souveränität der Kammern kämpfen.
In dieser Richtung stürzen sie sich da um so blinder und unaufhaltsamer vor-
wärts , wo ihre Zusammensetzung lediglich von der Kopfzahlwahl des Volkes
abhängt, wo ihnen also der Zügel einer Aristokratie des Geschlechts, des Be-
sitzes und des Geistes abgeht, und wo es überdiess noch an einem sichern po-
litischen Takte gebricht, der sich nur aus vielfacher politischer Praxis inmitten
eines seit Langem bestehenden öffentlichen Lebens erzc ~t. Darum ist es nichts
als eine Selbstironisirung, wenn solche, die für die Tneilung der Staatsgewalt
sind und für die darauf gegründeten konstitutionellen Institutionen, doch zugleich
XLIII. Jahrg. 6. Doppelheft. 60
 
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