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Heidelberger Seitung — Nr. 183

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Dienstag, den 12. August 1919

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Unser bulgar. Bundesgenosse

Von Kriegsminister a. D. General d. Artillerie
v. Stein*)

Die Bulgaren waren in geschäftlicher Bezie-
hung recht unbequem. Sie verlangten
alles ohne Gegenleistung und glaub-
ten dazu ein Recht zu haben. Ob ihnen in
dieser Veziehung Zusicherungen gemacht sind,
habe ich bis zuletzt nicht ergründen können.
Sie konnten wichttge Bundesgenossen sein, so-
lange sie kräftig und treu blieben. Daher
mußte das an stch arme Land unterstützt wer-
den. Vestechung und Eigennutz spiel-
ten ihre Rolle. Die Machthaber sorgten von
Amts wegen für sich, wie das im Orient üb-
lich ist. Jn Sofia hörte ich eine Erzählung
von einem Minister, der gesagt haben sollte:
„Der T. hat so und so viele Mittionen gemacht.
das ist unanständig. Aber ein paar Millio-
nen möchte ich doch auch haben." Es war selbst-
verftändlich, .datz die abnehmenden Offiziere
und Beamten von den Lieferanten Eeld uah-
men. Die Hauptlieferer waren Deutsche. Aber
auch Oesterreicher suchten den Markt zu be-
haupten, bisweilen durch unsere Lieferungen
an sie selbst.

Der Ministerpräsident Radoslawow
und der Kriegsminister Neidenoff waren
d eu tsch fre u nd lich. Jhre Nachfolger ha-
ben eine zweifelhafte Rolle gespielt. Bulga-
rische Kameraden erzählten ganz offen, der
Präsident Malinow und der Oberkomman-
dierende Lukow hätten von der Entente
Eeld genommen und den Bolschewismus in
das Heer getragen. Auch durften bulgarische
Zeitungen die Nachricht, wir saugten das Land
aus und erfüllten unsere Verpflichtungen nicht.
verbreiten, ohne datz ihnen ernstlich entgegen-
getreten wurde. Die D o b r u d s ch a - Ä n -
gelegenheit bot günstigen Stoff für die
Aufreizung gegen Deutschland. Der Verkehr
mit unseren Truppen führte zu mancherlei
Neibungen. Unser Oberkommandierender, Ge-
neral v. Scholtz, hat den Bulgaren in einer
Nede deutlich die Wahrheit gesagt. Viel hat
es aber nicht geholfen. Als Orientalen hai-
ten sie andere Anschauungen als wir, ein un-
fertiges, noch in den Kinderschuhen steckendes
Volk mit Vauernschlauheit und Eigennutz.
Oft kamen sie mit Forderungen nach Aus-
rüstung und Bekleidung. Wir hatten begrün-
deten Verdacht, daß sie unsere Lieferungen
nicht voll für den Krieg verwendeten. sondcrn
für den Frieden zurücklegten. Tatsächlich war
bisweilen Not an der Front. Die Leute lie-
feu ohne Hosen und Stiefel umher, wie mir
ihre Vertreter und auch der König mitteilten.
Fch habe schließlich selbst nachsehen und die
Lieferungen nicht mehr an die bulgarische, son-
dern an die deutsche Verwaltung gehen lassen.

*) Jn dcn lctzten Wochen sind unsere Beziehun-
gen während des Kricges zu den österretchischen
Vundesgenossen in der Oeffentlichkeit stärker be-
leuchtet worden. Jn den nachfolgenden Ausfüh-
rungen erfährt die deutsche Oeffentlichkeit zum
erstenmal etwas von authentischer deutscher Seite
über die Interna unserer Beziehungen zu den
bulgarischcn Bundesgenossen. Die Ausführungen
sind dem jetzt (bei C. F. Koehler, Leipzig) erschei-
nenden Buche „Erlebnisse und Betrachtungen aus
dem Weltkr ege" des frllheren Kriegsministers ent-
nommen. Schriftleitung.

Das wurde aber sehr übel genommen. Hätten
wir die Eeldmittel der Entente gehabt, so hät-
ten wir rücksichtsloser geben können.

Die bulgarischen Truppen schlugen sich an-
fänglich gut. Viele sind bis zuletzt kriegstüch-
tig geblieben. Aber ste wollten nicht mehr an-
greifen, nur noch sich behaupten. Eerade die
besten Divisionen hat Malinow dem Feinde
als Eefangene ausgeliefert, um freie Hand zu
behalten. Sonst würde es selbst nach dem
Rückzuge mit seiner Herrschaft bald zu Ende
gewesen sein. Viele Führer und Offiziere sind
uns bis zum Ende gute Kameraden geblieben.
Aber sie haben es nie verstanden, weshalö
ihnen nicht zum letzten Kampfe Unterstützun-
gen gesandt sind. Wir hatten im ersten Augen-
blicke keine Truppen frei, und als sie frei ge-
macht waren und anmarschierten, war es zu
spät. Eine treulose bulgarische Division hatte
ihre Stellung aufgegeben und dem Feinde den
Durchbruch ermöglicht. Auch Bulgarien hat
eine ernste Lehre erhalten. Zuerst unersätt-
lich in seinen Forderungen, muß es jetzt auf
Landesteile verzichten, die es schon in seinem
sicheren Besitze wähnte. Aus der Vormacht
auf dem Balkan ist nichts geworden. Serbien
und Numänien werden unbequeme Nachbarn
bleiben, und der Balkan wird nicht zur Nuhe
kommen.

Den König, der dem Thron entsagt hat,
habe ich kennen gelernt. Er macht bei Ver-
handlungen den Eindruck des klugen und in
allen Sätteln gerechten Fürsten, für den er
immer gegolten hat. Zu den Verhandlungen
zog er den Kronprinzen hinzu, den er auch
als seinen Eeheimschreiber benutzt haben soll.
Iedenfalls eine vernünftige Erziehung eines
Prinzen zum künftigen Fürsten. Der Kron-
prinz machte trotz seiner Jugend den Eindruck
eines verständigen und klugen Mannes. Er
galt den Vulgaren als Bulgar, der König
nicht. Trotz mancher Schwierigkeiten habe ich
mit den Vulgarcn gern zu tun gehabt. Mit
ihrer Geschäftsschlauheit war doch eine gewisse
Harmlosigkeit verbunden. Sie waren nicht so
empfindlich und übelnehmerisch wie dic Un-
garn, sondern suchten mehr durch Klagen Ein-
druck zu machen.

Das Vetriebsrätegesetz

Der Entwurf des Betriebsrätegesctzes ist jetzt
m't Begründung im „Neichsanzeiger veröffent-
licht worden. Das künftige Betriebsräteqcsetz tritt
an die Stelle des von den Arbeiter- und Angestell-
ten-Ausschüffen handelnden zweittn Abschnittes der
Verordnung vom 23. 12 13. Die alten Arbeiter-
und Angestellten-Ausschüsse werdcn beseitigt. An
ihre Stelle tr.tt der einheitliche Betriebsrat,
der sich aus einer Arbeiter- und Angcstelltengruppe
zusamw.ensetzt. Die Gruppen werden von den Ar-
beitern und Angestellten dcr Betriebe entsprechend
ihrem Zahlenverhältnis und nach den Erundsätzen
der Verhältniswahl qewählt. .

Das Gesetz gilt für alle Vetriebe.
Eeschäfte nnd Verwaltungen des öffentlichen unb
pr.vaten Nechts im weitesten Sinne. Es umfaßt
Landwirtschaft, Handel und Eewerbe, wie auch die
freicn Vernfe. Ausgenommen ist nur wegcn
ihrer Eigenart die See - und B i n n e n s ch i f f-
fahrt, die einer besonderen Regelung vorbshal-
ten ist.

Ein Betriebsrat ist in jedem Betriebe. der
mindcstens 20 Arbeitnehmer beschäftigt. zu bilden.
Für Betriebe von 5 bls 20 Arbeitern ist die Wahl
von Oblcuten vorzuschlagen. die die gleichen

Rechte und Pflichten haben, wie ber Vetriebsrat,
mit Ausnahme des Mitbestimmungsrechtes bei
Etnstellungen und Entlassungen. Der Eliederung
des Bctrtebs entsprechend ist für die einzelnen Ab-
teilungen die Vildung von Abteilungsbe-
triebsräten vorgesehen. aus denen ein Ee-
samtbetriebsrat zu errichton ist. Die gro-
ßen staatltchen Unternehmungen. besonders die
Verkehrsanstalten (Eisenbahn, Post) er-
halten in Anlehnung an ihre Organe ein von der
unteren Stelle bis zur Spitze sich gliederndes Sy-
stem von Räten.

Das aktive Wahlalter beträgt 18 Iahre,
das pajsive 20 Jahre. Die Wählbarkett erfordert
ferner sechsmonatliche Betriebs- und dreijährige
Ecwerbezugehörigkeit. Für die Möglichkeit der
Zusammenarbeit kllnftiger Veamtenräte mit den
Betriebsräten ist Sorge zu tragen. Die Wahl-
periode des Betriebsrats beträgt ein Iahr,
doch kann eine frühere Abberufung der Mitglie-
der des Nates durch qualifizierte Mehrheit erfol-
gen.

Dte Aufgaben der Betriebsräte liegen auf
soztalem und wirtschaftlichem Ge-
biete. Sie sind Organe für die Durchführung
der Tarifverträge, mangels solcher für die
in Eleichbercchtigung mit dem Arbeitgeber sich voll-
ziehende Ncgelung aller Arbeitsverhältnisse. Sie
sehen zusammen mit dem Arbeitgeber die Ar-
beitsordnung fest, sie haben das Einverneh-
men der Arbeiterschaft mit dem Arbeitgeber zu
fördern und sollen in Streitfällen für gere-
gelte geheime Abstimmung sorgen. Wohl-
fahrtseinrichtungen verwaltet künftjg der
Betriebsrat zusammen mit dem Arbeitgeber.
Schlicßlich hat dieser das volle Mitbestim-
mungsrecht bei Einstellung und Ent-
lassung, bei denen sein Einspruch. soweit nicht
die Entlassung aus wichtigen Erllnden fristlos er-
folgt, don Arbeitgeber zu Verhandlungen nötigt.
Erfolgt keine Einigung. so entscheidet endgllltig
der Schlichtungsausschuß. der auch für den ganzen
Aufaabenkreis Schieds'nstanz ist.

Unter den wirtschaftlichen Funktionen
des Betriebsrats seien erwähnt: Er hat die Be-
triebsleitung mit Rat zu unterstlltzen. um so mit
ihr für einen möglichst hohen Stand der
Produktion und für mogltchste Wirt-
schaftlichkeit der Betriebsleistungen zu sor-
gcn. Jn die mit Aufsichtsrät-en ausgestatteten
Unternehmungen entsendet er 1 bis 2 seiner Mit-
glrcder nach besonders noch zu erlassendem Eesetz.
Er bat em Necht darauf. Aufschluß über alle die
Arbeiterschaft. berübrcnden Betriebsvorgänge. so-
weit dadurch keine Betriebs- oder Eeschäftsgeheim-
nisse gefäbrdet werden. zu verlangen. insbesondere
kann er die Vorlage von Lohnbüchern und Infor-
mationen übsr die L> istungen des Betriebes und
den zu erwartenden Arbe'tsbedarf verlanqen. I''
Unternehmunosn. die Nandelsbücher zu fllbren ha-
ben und mindcitens 50 Arbeitnekmer bescb^''""
kann er ab 1. Ianuar 1920 jährlich eine Bilanz,
eine Eew'nn- und Verlustrechnuna verlanoen.

Die Mitglieder dss Vetriebsrats
sind oeqen Benachte'liaungen durcb Strafoerfabren
aesch'ikt. auch können sie nnr mit Zustimmung des
Betri>'b<'.ratcs entlasien oder versekt werd-sn. vor-
behaltlich der Entlastung aus wick't'aen Gründen
Die Eebeimbaltnna dsr dsm Bstriebsrate mitqe-
teilten E e s ch ä r t s g e h e i m n i s s e ist durch
Strafvorschrist gcsicbert.

Auf die weitere Nätegesekgebung. die über die
Betriebsräte binaus Arbeiter- und Wirt-
schaftsräte schaffen soll, ist in dem Eesck
das somit die untsrste Stufe des Nätesystcms dar-
stellt. bereittz mehrfach Nllcksicht genommen.

Die Regierung hofft. daß die neue Vorlage in
Erkenntnis d.r Notwendigkeit des StaatsleL-sns
von der Nationalversammlung bald verabschiedet
werde und dazu beitragen wird. durch die Heran-
ziehung der Arbeiter als v o l l b e r e ch t i g te
und verantwortliche Elieder des Wirt-
schaftslebens die Arbeitsfreude und Arbeitslust zu
hcben, die der W'edrraufbau der Wirtschaft und
dte Erfüttung der im Friedensvertrag uns aufer-
legten Bedingungen erfordert.

Der Weimarer Theater-Krieg

um die Seele Mathias Erzbergers ist mit dsm par«
lamentariichen Adagio noch nicht zum Abschlvß se-
komimen und das Vertra>uen. das die Mehrheit
dcm Mann aus Duttenkausen geschentt hat, - isti
nrcht das Vertrauen der Mcchrheit des Volkes. Die
QsfeiHve, die Helfferich gegen den Säckel-
meister der Republik begonnen, erösfnet neue Aus-
sichten und man hat den Eindruck, daß das Duell
He.sterich-Erzberger vermutlich anders ausgehen
wivd, als das Duell Graefe-Er.,berger. in dem es
uuf der einen Seite taktische Schwächen, auf dor
anderon derb-gewagte Paraden gab. Helfferich M
ein Meister der Taktik; der Profestor. B-an,kdirektor
und Minister von gestern verfüat über ein Tem-
vevament, um das selbst ein Erzberger ihn beirei-
den darf, und er hat, wie sein Antipode von cheute,
die Neigung und Eewohnheit, da am schärfsten M-
zupacken, wo der Eegner just am schwächsten sich er-
wiesen. Redner, Dehatter und Sprach-Meister zu-
gleich, mit geschlisfener Dialektik und scharf zer-
setzendem Verstand gerüstet, immer auf dem »qui
vwe", in jedem Moment auf Augriff und Äbwehr
vorbereitet, zielklar und systomsicher. aus stcheremr
und reichem Erfahmng-Born müLelos Daten und
Datsachen schöpfend. mit eine-m Wort: die Viel-
seitigkeit und Cewandtheit in einer Personk

Man erinnert sich seiner uus der Helfserich-Aera
vielleicht mit ein wenig gemischten Gefühlen, hat
chm aber weniger abzubitten. als anderen, deren
Charakterbild im fahlen Licht der Noivembertase
am men>chlichen und politischen Reizen sewonnen,
uud steht, dennnoch, unter dsm starken Eindvuck
einer bedeutsamen, in stch geschlostene-n. weit und
sichtbar ausstrahlenden Persönlichkeit. deren poli--
tlsche Rolle die November-Episode stcherlich über-
dauern wird. Helfferichs eigentliche Stärke wur-
zelt in der Opvolsittan; man hat es in dielsen Ta-
«en ernst ersahren. und das. was man <ms der
Zeit seiner amtiichen Tätiskeit weiß, rechtfertigt
die Erwartung. daß er auch ietzt. da er unter dte
Wortführer der Anti-Novomberlcute gegangen,
nlcht auf halbam Wege stohen bleiben wird. Das
Duell Helfferich-Erzberaer wird. vielleicht, symqsto-
uiatisch für die nächste Strecke in der volitischen
Tätialoit Helffsrichs sein, und Eingeweihte w'
daß man in der Berliner Withelmstraße das Auf-
tamchen des weiüand BaNkdiroktors in der vocker-
sten Reihe der Opposition weit weMLer leicht wor-
tet als es nach den wohlsefällrgen Mätzchen des
„Vorwärts" den Anschein haben könnte. Helfferich
gchört zu denen, >die zu den Dingon. die uns ietzt
mit drückenden Sorgen belasten. „etrvas zu sagen"
haben, und Loute die-'er Art stnd den Zeitgenosten,
die wus dem Spuk des Novombers -ansgetaiucht.
weniger sympathisch als dis «ndoren. die stch vom
sinkendeil Schiff hinüberretten aiuif di-e Planks des
republivanischen Kcchns, Erundsätze und Meinun«
gen dem Strudel überlastend.

Warum klagt Erzberger nicht?

Der „VorwÄrts" nimmt Notiz von dem Schrei-
bcn des Abg. Dr. M i t t e l m an n an den Reichs-
prästdentsn, worin er verlangt, daß die gegen den
Reichsfinanzminister Erzberger erbobenen Anschul-
disunsen untsvsiucht und gerichtlich festgestellt wsr-
den müsten. Das B att fügt hinzu. ,auch von anbrer
Seite (oll Cbert solche Schretben erhalten haben
und in der Arbeiterschaft liefen ebenfalls Errüchte
über Erzberger um. Es werde der Regievung
übel ausgelest, daß noch nichts gesche-
hen sei. Das Ansohen der Rogierung grbiete,
einen der Enthüller herauszugreffen und ihm den
Prozeß zu machen.

Die Lieferung von Meh

Ende voriger Woche fanden in Versailles
längere Bckprechungen zwischen den Vertretern
Frankreichs. Belgiens und Deutschlands über die
Lics-erung von Vieh und P>ferden ent-
sprechend dcs 8 6 des Anhangs 4 zu Artikel 236 des
Friedensvertrages statt. Ueber einen großen Teil
der Fragen und ihre technische DurchMrung wurde
Einialcit erzielt. Die doutschon- Sachverständigen
habm heute Veksailles verlassen. um in Deutschland
noch weitere Erhcbungen «anzustellen und die not-
mendigen Vorbereitungen zu treffen._


Wcr strebt und schafft,

Vleibt j»ng an Kraft. ^

Frisch vorivärts druin,

Und kehr' nicht um. Scheffel

Oie blaue §pur

Roman von Iulius Regis
Aus dem Schwedischen übersetzt von E. v. Kraatz
(^op)'l-iLbt 1917 OretbleinücLo. 0. m. b. N. Telprtg

(34. Fortsetzung)

Sie blieb regungslos stehen. nachdem sie den
Hörer angehängt Hatte, pnd dann legte ste die Hand
plötzlich vo.r dte Ängen und seufzte schwer und be-
kümmert.

«Hier bin ich", sagte Wrllion und trat ins Zim-
mcr. „Ich stehe zur VerfüÄuirg. ich und Steiw."

Pau.ine.flchr blitzschnell hevum. Ihrx Lippen
zlttcrten noch, aber jetzt hchchte ein frobes Lächeln
uocr ihr Eestcht. Ihr Kleid glitt rauiichend über
ocii Teppich, als sie mit ausgestreckten Händen auf
die Leiden Männer zutam.

,.Wie mich das frout!" war alles was sie sagte.

Wallion ergriff thre >berden Hände.

. -Es ist also etrvas voraofrllen?" entgesnere er,
ln dein er ihr forschend ins Auge blickte.

Ia." Sie nickte m!t mädcheirhastem Ernst.
"Misscn Sie es schon?"

-Ich h.ib' es erraten", erwiderte der Detekcio-
rcponer. „Wann ist er verschwunden?"

. ..Uiigestchr um hach drei. Seitdom hat er stch
"lcht mieder sohen lassen."

-Hattc cr vovher ivsendeine Beniachrichtigung
mhcilten^"

-Nein, das glaiibe ich nicht."

D'r Iournalist blickte nachdenklich oor sich hin

. ..Dcrnii maß er morgens tn der Stadt gewcffen
leni. nickst wahr?"

.. .Ia ', sagte Pauline verwunbert. „Ich hatte
Ust- gegen ein Uhr mit Bosoraunaen aussoschickt."

..Ahar" murinelte Wallion und begab stch ans
Lelephon.

"Dasscurirl" sagte er kurz. »Dankek — Hier

Wallion. — Wairn ist das Costazuela-Lelegramm
in unserm Fenster ausgehängt wo.rden? — Um etn
Uhr? Das dachte ich mir. Danlel"

Er lächelte, indem er den Hörer anhängle.

Veylers Dlicke wanderten zwtchen den beidon
hin und her.

»ÄVas heißt das?" fragte er verstänldnislos.
„Wer ist verschlwunden?"

Mallion blinzelte ihn durch den Zigarettenvauch
an.

„Du hast keine Einbildnngskvast". mmrniUte er.
„Vor einer ha.ben Stunde kamen wir doch bei
Bcckman überein, daß sie entweder derr andern
aufgespürt hätten, oder auch . .

„Ia, oder? sagtest Du?"

„Dies Oder ist jetzt eingetrosfen."

„Nun. und — ?"

„Der Bediente John Andersson ist vecschwun-
den."

Veyler, der eben seine HaMchuhe auszog, ließ
den einen fallen, ohne «s zu merken.

»John — verschrvunden? Nicht möslich!" rief
er aus.

»Er ist lfort, Steno", slagto Pauline ein wenig
ungeduldig. „Ohne ein Uort der Erklärung forti"

„Fort!" wiederholte Beyler. „Aber dks tst i<r
reiner Wahnwitz! Dcr müssen sie rhn —"

Wallion blickte thn mit bochgezosenen Bcauen
an. Die beiden fungen Männer sowoihl wis Pau-
line waren anf denselben Gedanken gekommen.

„Nein", erklärte Wallian nach einer kleinen
Pause. »Er ist nicht mit Gewalr rveggebracht, fon-
dern^aus freiem Willen geaangen."

Mit diesen Worten ging er auf dte Wsndol-
treppe zu.

„Ich möchte sein Zlmmer sehen". sagte er.

Sie gingen alle drei nach dam Boden hinauf.
Das Bedientenzimmer über dem Lavoralarium war
ganz klein emd hatte nur ein Fenster nach dem
Earten zu. Die Einrichlung hestandl aus einem
ei,enern Bett, cinem Ttsch, einem Stuhl und einer
alten Kommode. Neben der Tür htns ein schwar-
zer AnWg nnd ein runder Fihzlsttt.

Wallion s>ah stch um. Dann öffneto er dte kleine
Tapetentür des Kleiderschvanks: er war aanz leer.
Er ncchm das Vettzeug heraus und schüttelte es,
öffnete das Fenster und betrachtete das Schiofer-
dach vund uncher. Darauf drehte er sich rxm.

„Ich sipreche Iohn Andersson ineine lobhnste
Bomunderung aus", sagte er lächeinv. „Er macht
alles gut. Sogar (ein Entschwinven hat er mit
großer Umsicht bewerkstelltgt."

„Keine Spur?" fvagte Veyler. „Auch kein
Brief?"

„Nichts."

Es war noch dunkler oeworden. und ein Re-
genschauer ging praqelnd über das Haus nioder.
Die orei jungen Leute kchrten schweigend in die
Bibliothek zurück.

„Wallton", beaann Beyler erregt. „Du hast er-
wartet, daß er verschwinden würde?"

„Ia", lautete die kurze Antwort dos Berichter-
süatters.

„Aber warum denn u,n Hnnmelswillen —
warum?"

Wcrllion zog die Gardins vor u>nd steckto eine der
Slektrtschen Lampen an.

„L>aß uns die Sache einmal bosprechon", faote er
aelassen.

Pauline blickte ih» an, und ihre Augen sahen
in dem hellen Licht fast ganz ischwarz aus.

„Wisten Sie, wo Iohn ist?" fraate sie.

Er scyüttelte den Kopf.

„Nein", ermidvrte er. „aber ich vermnte, daß er
den aiidern aufgesucht hat."

»Den andern?" flüsterte das iunae Mädchen.

Beyler spragg auf.

„Nein.hör 'mal. Walliou . . ." begann er bitzig.

Aber oer Detektivreporter erhob abwchreno die
Hand.

»Die Sache ltegt io. Die Personen. die am Fall
Heffelman interessiert stnd, zerfallen gesenwürtig
in drei Eruppen. Erstens: die Unbekanten mit der
dunkeckn Dame, Konsul Thander und — nach mei-
ner Rechnung — drei unbekannten Männern. Un-
ter diacn Losindet stch der Mörder. Zwottens: mir.
Drittens: der andre, der Mann, dem sje in der
Nacht ,nach dein Word in der Halle bagclMeten,
Fräulein Pauline. Diesec ist im Bositz der Costa-
zuola-Papiere, von denen wir wiffen, daß dio Un-
bokannten der Gruppe eins Iagd davaluf machen.
N!un aut! Es hat stch evmiesen, daß fene Unbeöann-
ten ihre Anstrenaunaen. dio Papiere an stch zu brin-
aen, jedesmal, wonn Quivcra einen Schritt vor-
wärtg kam, verdoppelt haben. Außerdem habe ich
fastgestellt, daß der Diener Andersson me-hr über

jenen andern weiß. als wir alle. Meiner Ueber-
zou,gung nach hat cr ihn dainals noch im Arbeits-
zunmcr vovgefllnden, als er durchs Fenster hinein-
kletterte. Ich weitz, daß es Aiüdersffon war, der
das G.ektrisch,: Licht znm Erlö'chen bvachte, ^m dem
andern das Entflichen zu evleichtern. und ich habe
Evund anzunöhmen, daß Andersson mehvfach ver-
sucht hat, sich mit oem andern in Verbindung zu
setzen, zumal an dem Tage, als ick ihn am Eusbcrv-
Adolf-Martt >anhiolt. Deshalb erwartete ich, daß
der Vediente heute gleich nack dom Cüsta^uela-
Telegva-mm zu ihm oehen, ihn vielleicht warnsn
wüvde, denn jetzt befiüdet -er stch wirklich in hoch-
gvadiger Eefahr. Wenn ich nur >gowiß wüßte . .

>Er versank in Gedanken.

»Was ist es denn, worüber Du Gswißheit balben
möchtest?" . .

„Gowißheit darüber, wer joner andre qt.

"Ein Mörder!" rief Steno aus.

„Nein!" entgegneto Wallion heftis. „Wirimn
soll er ein Mörder sein? Das ist nicht nötig. Im
Gogenteil, es steht gar nicht mit der Sachlage in
Uobereinstiinmung. Bedenke doch, daß der Doktor
Heffelman seit lanaen Iahren kannte! Daß er
Doktor Heffelinan um Beistand geaen die unbe-
kannten Feinde bat! Gesetzt, ber Doktor hätte den
andern hier in dem veckchlolssenen F.,ügel der Villa
verstcckt gehalten!"

fIn den grauen Augen sprühte es wie Fouor.
Die'beiden andern hatten ein Eofühl. als ob sis
von einem elektrischen Schlag getroffen würden.
wenn ste Wallions leuchtenden Blicken Leaeaneton.

tzumor vom Tage

^ Volksmedizin. Als die alte Frcvu Krause so
furchtbar vom Reißen seplaigt war. brachte 'hr der
besorgte Schwioaersahn ein Meerschwoinchenpaar.
Sie müsse diese Tierchrn mit ins Bcttnvln'le'r.
Meerschweinchcn seien ein glänzendes Mittei mgcn
das Reißen? Fvam Kvaiffe nalnn die Mcevchwe-'i-
chen mit ins Bett. Aber als wir ste em vaar Taae
später b-suchton. saß sie auf dem Sofa und fror
Aiber beste Fvam Kvause. was wollen Sie. Sie
erobören doch ins Bett! Sie -webrte wchmutig
ab^ „Ich kann nicht. da sind die MeerichwelnckM
drtnn/und die haben Junae gekriegt. (Iuaend.)
 
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