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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 3.1905

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nicht zu ersetzen ist. Ganz ausdruckslos ist Luce,
Manguin völlig unpersönlich. Der Norweger Diriks
fällt auf. Er hat einen fetten Griff, ein robustes Drauf-
gängertum in seinen Bildern. Besonders gefällt, wie er
bei allem Zufassen doch der Unterstreichung aus dem
Wege geht. Sein Dorf am Fjord und, was die Bewegung
betrifft, vielleicht noch mehr das Bild „Nordwind"
zeugen dafür. Die Abstimmung in ein stumpfes Rot-
braun und Blassgrün ist wohlthuend. Sehr interessant ist
Munch. Den kecken Schnitt seines Strindbergporträtes
studiert man auf seine bedeutungsvolle Momentanität,
in seinem Mallarme liest man weniger direkt. Nicht gut
ist „die Woge", sehr eindrucksvoll dagegen „Mater
Dolorosa" und „clair de Lune". Die gemalte Intarsie
„le Baiser" ist von einem weichen Fluss in den Linien
und zart im Ton. Stark wirkt Käthe Kollwitz. Ihr
kleines Blatt, „die Familie", ist sehr fein.

Der Salon enthält zwei retrospektive Sonderaus-
stellungen : van Gogh und Seurat. Man könnte nach den
beiden Namen die ganze Ausstellung in unterscheidende
Richtungen zu trennen: das Suchen nach der Farbe und
ihre Vereinfachung, darin sich auch die Form erneuert,
nach van Gogh; das technische Experiment, das für die
Form belanglos bleibt und in der Farbe nicht eigentlich
einen Wert, sondern ein Mittel sieht, nach Seurat. Die
erstere Richtung hätte Ehrlichkeit als oberstes Gesetz.
Ehrlichkeit, die sich sogar in ihren Mitteln aufs Ein-
fachste zurückschraubt und alles Fertige ablehnt. Darin
wirkt van Gogh als eine starke Persönlichkeit, die ihrem
Suchen und Versuchen, ihrem Wollen und ihren Ein-
flüssen eine geradezu fanatische Durchsichtigkeit giebt.
Wenn man van Gogh mit Cezanne verglichen hat, so
liegt das, glaube ich daran, dass man auch bei van Gogh
den Pinsel noch als Stift fühlt. Das giebt seinem Farben-
suchen den stellenweise überwiegenden Eindruck des
Formensuchens, und das giebt ihm diese wunderbare
Primitivität, die nach Fülle des Gehaltes strebt und zu-
gleich auch ihren Gehalt nicht bewältigt. Darum ist er
auch so ruhelos.

Seurat ist das Gegenteil von van Gogh. Seine Bilder
muten räumlich unausgefüllt an. Es rührt nicht nur von
dem Parallelismus in ihrer Anordnung her. Mit Tech-
nik und Prinzip sollte in ihnen eine Lehre verborgen
werden. Es bleibt aber davon nur Getüpfel übrig. Es
ist schon Abschluss, gerade wo es Neuerung sein will.
Anders bei van Gogh. Bei van Gogh ist man auf einen
Weg gewiesen. Van Gogh ist ein Weiser und ein Weg.

Was von Bildhauerarbeiten ausgestellt ist, ist be-
deutungslos. Ohne Auf fälligkeit und Wagen. Das Beste
wird in einer Cheminee-Kunst geleistet.

Wilhelm Holzamer

ZEIT- UND IDEALKOSTÜM

Es ist vielleicht nicht im allgemeinen zutreffend, was
uns Herr Museumsdirektor Dr. Pauli bei Gelegenheit
von Tuaillon's Reiterbildnis über die Denkmäler im
Zeitkostüm sagt, dass sie ein Majoritätsbeschluss gewesen
wären, bei dem die Künstler überstimmt wurden. Aus
der Initiative der Künstler selber ist manches Denkmal
gerade im Zeitkostüm hervorgegangen. In Berlin war
Tassaert der erste, der von den Statuen in römischer
Tracht zu solchen in einem realistischen Stil überzugehen
sich anschickte: in den Denkmälern für Seidlitz und
Keith auf dem Wilhelmsplatz — Versuchen, die ihm
freilich nicht sonderlich gelangen. Tassaerts Schüler
Gottfried Schadow aber, der von Friedrich Wilhelm IL
den Auftrag erhalten hatte, in Kopenhagen und Stock-
holm den Bronzeguss zu studieren, lernte im Norden an
den Denkmälern des Oxenstierna und Gustavs III. den
Wert des Zeitkostüms schätzen, so dass diese Errungen-
schaft ein wichtigeres Ergebnis seiner Reise wurde als
die Erfahrung im Bronzeguss. Im Verfolg der Reise
fragte er sich: „Ist es nicht" eine schöne Eigenschaft
eines Kunstwerks, wenn es sich selbst erklärt und keiner
Inscription bedarf?" und über die Statuen in römischer
Tracht gab er jetzt das Urteil ab: „Sie haben alle den-
selben Charakter oder vielmehr gar keinen." Rauch
freilich liebte durchaus nicht, die Statuen der Feldherren
so uniformtreu bilden zu sollen, wie es in den Instruk-
tionen von ihm verlangt wurde und bei ihm ist es voll-
ständig zutreffend, dass er das als einen Zwang empfand,
was ihn nötigte, etwas wie versteinerte Moment-
photographien herzustellen. Er beklagte sich denn auch
über die „pantalons" und sehnte sich nach „etwas nack-
ten Beinen und Schultern." Hatte jedoch eine Kabinets-
ordre von 1826 ihm für das Standbild Friedrich Wil-
helms I. vorgeschrieben: „zur Kleidung des Standbildes
bestimme Ich die Uniform, in welcher der König von
Pesne gemalt ist; das Bild hängt in dem letzten Saale
des Seitenflügels meines Palais; über der sichtbar genug
bleibenden Uniform der königliche Mantel!" — so war
doch für die Reiterbildnisse selbst jetzt noch der Gedanke,
dass sie nicht realistisch sein dürften, massgebend. Der
König von Preussen liess noch 18 3 1 von Rauch — mit
dessen innerem Widerstreben — den Entwurf einer
Trajanssäule (mit einem auf der Säule stehenden
preussischen König) anfertigen, und dass das definitive
Denkmal Friedrich des Grossen im ganzen so ausgeführt
ward wie Rauch es auf realistisch-historischer Grund-
lage projektiert hatte, ist nur dem Umstand zuzu-
schreiben, dass der König, der Widerstand leistete, starb.

So hat die Denkmalsplastik jetzt einen Kreislauf
durchgemacht. Die Künstler hatten den Realismus
gegenüber dem Idealkostüm durchgesetzt und jetzt
kehren wir mit Tuaillons schönem Kaiser Friedrich-
denkmal (auch mit Lederer's Fürst Bismarck, der als
Roland maskiert ist) zu einer Plastik im Idealkostüm
zurück. H.

DRITTER JAHRGANG, ACHTES HEFT. REDAKTIONSSCHLUSS AM ZWEITEN MAI. AUSGABE AM 10. MAI NEUNZEHNHUNDERTFUNF
VERANTWORTLICH FÜR DIE REDAKTION: BRUNO CASSIRER, BERLIN. GEDRUCKT IN DER OFFIZIN VON W. DRUGÜLIN ZU LEIPZIG.
 
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