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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 20.1922

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Heft 2
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Grautoff, Otto: Das moderne Kunstgewerbe in Frankreich
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https://doi.org/10.11588/diglit.4747#0087

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VERA, WANDBESPANNUNG. BEDRUCKTE LEINWAND

stellen hin, in denen der süßeste Kitsch und alle
Stilnachahmungen feilgeboten werden: Gotik, Re-
naissance und sämtliche Louis-Spielarten. Da die
französische Möbelindustrie so stark zentralisiert ist,
hat sie auch eine größere Machtstellung als die in
vielen Städten zersplitterte deutsche. Ihr Syndikat
ist ein wichtiger, wirtschaftlicher und politischer
Faktor. Es hat die Mittel, um sich die Presse
gefügig zu machen. Es konnte bisher jeden, der
sich ihm widersetzte, schonungslos erdrücken.
Der erste Ansturm der Künstler gegen das Fau-
bourg Saint-Antoine schlug fehl. Die Gewal-
tigen der Industrie sahen von vornherein, daß das
Liniengeschlingel des art nouveau und des Stiles
von Nancy auf die Dauer keine Gefahr bedeuten
würde. Davon wurde die Sicherheit ihrer Stellung

nicht berührt. Als aber vor etwa zehn Jahren
eine große Reihe junger Künstler darauf ausgingen
moderne Möbel in einfachen, ruhigen Formen zu
entwerfen, die den praktischen Bedürfnissen der
Zeit entsprachen, wurden sie nervös. Zum Schutze
ihres Geschäftes mit Louis-Imitationen riefen sie
nach einer Verstärkung des nationalen Gedankens
in Frankreich.

Die jungen Maler, die sich dem Kunstgewerbe
zuwandten, waren arme Teufel. Niemand gab
ihnen Geld. Viele von ihnen haben ihre ersten
Tische und Stühle selbst gezimmert. So fingen
sie auf den untersten Sprossen handwerklicher
Übung an. Nach und nach fanden sie tüchtige
Arbeiter. Auch ihnen kam natürlich die solide,
alte Handwerkertradition in Frankreich zu gute.

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