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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 20.1922

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Heft 7
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Chronik
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https://doi.org/10.11588/diglit.4747#0271

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Man denkt von fern an den Fall Klossowski; auch dort
wächst die Begabung aus einem ungewöhnlich lebendigen
und tiefen Kunstverständnis hervor. Darum stimmt auch
die Arbeitsweise hier und da in einigen Punkten überein.
Genin versteht es vortrefflich ein Bild anzulegen, er kennt
die Bedingungen des Bildaufbaues; aber er kann es über
einen gewissen Punkt hinaus nicht weiterführen. Seine
Malerei sieht wie aquarelliert und pasteliiert aus, sie ist
zart und intellektualistisch, sie deutet geistreich ein paar
lebende Punkte an. Man könnte Genin einen Essenzler
nennen. Das heißt: er sucht — und findet nicht selten —
eine Essenz der Dinge; nur fehlt ihm dann, wie so vielen,
die Substanz dazu. —

In einer bunten Bilderausstellung bei Paul Cassirer,
wo man manches alte und liebe Werk aus früheren Sezes-
sionsausstellungen wiederfand, waren in größerer Anzahl
neue Arbeiten von Purrmann zu sehen. Es war kein Bild
darunter, das nicht ganz ernst, nicht bis ins letzte durch-
dacht, durchempfunden und durchorganisiert wäre. Der
Erfolg der schönen Anstrengungen ist verschieden, im all-
gemeinen aber so, daß man eine Steigerung feststellen
möchte. Sie liegt vor allem in einer freieren sinnlichen
Hingabe. Denn es sind die kritischen Hemmungen, die
Purrmann am gefährlichsten werden. Das große Interieur
mit einem Blick aus dem Fenster verdient den Preis;

aber auch ein paar Blumenstilleben sind sehr schön. Es
wirkt wohltätig, daß in dem Interieur das Prinzip eines
unbedingten Kolorismus verlassen ist, daß dem Hell und
Dunkel wieder mehr Aufmerksamkeit geschenkt wird. Die
linke Hälfte des Bildes, der Blick aus dem Fenster scheint
mir meisterhaft zu sein, die rechte Hälfte ist schön im Ge-
satnmtton, enthält aber zu viel Stillebendetail. Das Bild
ist gut, hat aber wieder etwas zu gut werden sollen. Man
möchte Purrmann Goethes Rat an den Künstler ins Album
schreiben und die letzten Worte unterstreichen:

„Der Gedanke das Entwerfen,
die Gestalten, ihr Bezug,
Eines wird das andre schärfen,
und am Ende sei's genug!" —

Italienische Landschaften stellte Max Neumann bei
Nicolai aus. Wieder erwies er sich als ein Maler, der es
sehr genau mit sich nimmt, als ein gründlicher Mensch,
der sein stilles Talent mit Ernst pflegt. Seinem Bemühen,
mit einer deutschen Malgesinnung, die sich zwischen Rös-
ler und Beckmann einst entwickelt hat, die Natur Siziliens
zu fassen, werden wir auch weiterhin mit Anteil zusehen
und uns selbst des bedingten Gelingens freuen, weil in
allem, was Neumann tut, ein geistig reines und handwerk-
lich reinliches Bestreben sichtbar wird. K. Sch.

CHRONIK

MECHANISCHE KUNSTKRITIK
Ein Lionardo-Prozeß in New-York

Joseph Duveen in New-York ist von Mrs. Andree Halm
auf Schadenersatz in Höhe von 500000 Dollars (gleich
hundert Millionen Reichsmark) verklagt worden, weil er
in einem an die Öffentlichkeit gelangten Interview erklärt
hatte, das ihr gehörige Bild der „Belle-Ferronniere" von
Lionardo sei kein Original, sondern die Kopie des Bildes
im Louvre.

Nun hängen aber gleich zwei Belle-Ferronnieres im
Louvre, Nr. 1600 und Nr. 1605 des Kataloges. Nr. 1605
ward im 18.Jahrhundert für das Porträt der Belle-Ferronniere,
der Geliebten Königs Franz I. von Frankreich gehalten.
Mit ihm ward oft verwechselt Nr. 1600, als Lucrezia Cri-
velli, Geliebte dss Herzogs Lodovico il Moro, bekannt.
Nach welchem der beiden Bilder das New-Yorker Gemälde
kopiert sein soll, hat Duveen nicht gesagt.

Doch wie dem auch sei: beide Louvre-Bilder gelten heute
nicht mehr als Originale von der Hand Lionardos. Nr. 1605
ward von Bernard Berenson dem Bernardino dei Conti zu-
gesprochen. Salomon Reinach hielt es für ein Werk eines
französischen Lionardo-Nachfolgers. Ravaisson glaubte in
der dargestellten Person die Züge der Marguerite von Valois
wiederzuerkennen, die Lionardo dann um das Jahr 1517
porträtiert haben müßte.

Uber das andere, oft reproduzierte Louvre-Gemälde
gehen die Meinungen ebenfalls auseinander. Woldemar von

Seidlitz, der früher an Ambrogio de Predis dachte, entschied
sich später für Boltraffio; mit ihm Charles Loeser und
Carotti. Seymour de Ricci, der Verfasser des amtlichen
Louvre-Kataloges, äußerte sich dahin: es sei eine Schüler-
arbeit, nach einem Entwurf des Meisters ausgeführt. Für
Lionardos eigenhändige Autorschaft treten Frizzoni ein, der
die Qualität des Bildes bedeutend findet, und auch T. A.
Gruyer verteidigt die Uberlieferung; er gibt als Entstehungs-
zeit dieser Jugendarbeit die Zeit um 1482 an.

Die Prozesslage scheint ziemlich kompliziert zu sein.
Man hat folgende Experten Mitte Dezember nach New-York
kommen lassen: Seymour de Ricci aus Paris, Professor
Frank Jewett Mather von der Princeton-Universität, Professor
Edward Walbo Forbes von der Harward-Universität, Charles
Loeser aus Florenz, den Angeklagten, Dr. W. R. Valentiner
aus Berlin, der sich neulich zwecks Katalogisierung einer
großen Privatsammlung in Amerika aufhielt. Die Sachver-
ständigen haben das Bild mehrfach photographiert und auch
die Fingerabdrücke auf ihm, die identisch sein sollen mit
denen auf einem der Louvre-Bilder, genau studiert.

Wenn sich durch die Fingerabdrücke erweisen ließe,
daß das New-Yorker Bild mit dem Louvre-Bild vollkommen
übereinstimmt, hätten wir wahrscheinlich auf einmal zwei
Originale ein und desselben Bildes von Lionardo, wo wir
bisher gar keins hatten. Oder Duveen müßte eine halbe
Million Dollars zahlen.

Nach deutschem Recht käme eine Bestrafung des Be-
klagten, selbst wenn das New-Yorker Bild sich als Original

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