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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 20.1922

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Heft 8
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Pauli, Gustv: Moderne Graphik, [2]: Radierungen
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https://doi.org/10.11588/diglit.4747#0283

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EUGENE DELACROIX TIGER. RADIERUNG

DIE RADIERUNG

VON

GUSTAV PAULI

Ruskin, der bekanntlich eine Vorliebe für
dröhnende Sentenzen hatte, sagte einmal vom
Radieren, es wäre so leicht wie Lügen. Einer jener
Weisheitssprüche, die ganz töricht werden, wenn
man sie cum grano salis versteht. Selbstverständ-
lich ist die Radierung das allerleichteste von der
Welt — für das Genie. Für die anderen aber ist
diese leichte Kunst nicht nur gar nicht leicht,
sondern unerreichbar. Was diese anderen auf die
Platte ritzen, ist alles Erdenkliche, z. B. eine Kopie
nach einer Zeichnung oder einem Gemälde oder
ein Surrogat für eine Photographie, nur eben keine
Radierung — nicht die Radierung. Denn hier darf
man schon exklusiv sein: es gibt nur eine Art von
Radierung. Bedarf es der Erklärung? Die Kupfer-
platte ist überaus gefällig und liefert, mit den rech-
ten Mitteln bearbeitet und geätzt, Drucke vom aller-
verschiedensten Aussehen, Imitationen von ausge-
machter Charakterlosigkeit. Wofern aber vom
Charakter der Radierung die Rede ist, erscheint

Rembrandt. Kein anderer Künstler hat je einer
Kunst so sehr den Stempel seiner Persönlichkeit
aufgedrückt. Das Verfahren gab es längst, als er
es aufnahm und der Welt zeigte, wozu es tauge.
Er verlieh ihm die Sprache und die Seele. Rem-
brandt ist der erste gewesen, der es verstand, die
Kraft des Ausdrucks durch Beschränkung der zeich-
nerischen Mittel planmäßig zu steigern. Er war es,
der zuerst die unberührten Teile der Platte in Rech-
nung stellte. Es gibt Radierungen von ihm, auf
denen das weiße Papier die deutliche Vorstellung
eines blauen Himmels erweckt, oder eines sonnen-
gebadeten Flachlandes oder einer schimmernden
Wasserfläche. Er kennt die erregende Wirkung
einer Schilderung, die von einer ausführlichen
Einzelheit plötzlich abbrechend zu knapper Andeu-
tung übergeht. Es ist in seinen Radierungen male-
rischer als in seinen Gemälden und gebietet über
eine viel größere Stufenfolge von Licht und Schatten.
Er hat uns gezeigt, daß die Radierung die geist-

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