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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 20.1922

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Heft 12
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Kubin hat in den letzten Jahren viel illustriert. Er tut
es in einem Stil, der nur ihm eigentümlich ist, obwohl
Slevogt dem künstlerisch Ausreifenden Anreger gewesen ist.
Die Empfindung des Betrachters ist geteilt: man erkennt
gleich das entschiedene Talent, das originelle Temperament,
die auf einschmeichelnde Wirkung verzichtende künstlerische
Ehrlichkeit und fühlt sich von diesen Eigenschaften ange-
zogen ; zugleich ist in der Arbeitsweise etwas Ungepflegtes,
das durch große Formate in vielen Fällen noch ärgerlich
unterstrichen wird. Von den vorliegenden vier Werken ge-
fällt am besten die Lithographienfolge „Nach Damaskus",
die ohne Text erschienen ist und das kleine Buch mit den
drei Märchen von Andersen. Die Blätter zu Strindbergs
Damaskus Drama sind sehr persönlich, obwohl der Zeichner
schwere Hemmungen zu überwinden hatte (wovon er im
Vorwort selbst Rechenschaft gibt). Die Blätter haben das
Quälende und zugleich doch groii Gesehene, das auch in
dem Werke Strindbergs ist, sie haben Atmosphäre. Die
Form ist sicherer als in vielen anderen Illustrationen Kubins,
was wohl eine Frucht des langen Ringens mit dem schwie-
rigen Stoff ist. Die Märchenillustrationen beweisen, daß es
von den Verlegern nicht richtig ist, wenn sie Kubin fast immer
nur für schaurige Stoffe und nächtliche Stimmungen zu
interessieren suchen. Kubin hat die Aufgabe stellenweis mit
feiner Grazie gelöst, mit jener befreienden Launigkeit, die
der Illustration so wohl ansteht. Der tiefe, bittere Ernst,
womit Kubin uns in den Illustrationen zu Huchs Träumen
und zu d'Aurevillys erotischen Erzählungen kommt, läßt
der Phantasie bei weitem nicht so viel Spielraum. (In Paren-
these ist anzumerken, daß man Träume überhaupt nicht
illustrieren kann; auch bei Kubin erscheinen sie noch zu
wirklich.) Was man „poetische Gerechtigkeit" nennt, ist nicht
ohne Grund ein Bestandteil jeder guten Illustration. Kubin
aber nimmt den Teufel zu ernst. Vielleicht ist es nur dieses,
was seine Zeichnungen noch nicht jene Meisterschaft er-
langen läßt, die wie ein Versprechen latent darin enthalten ist.

Jedenfalls gehören diese vier Bücher, trotz entschiedener
Mißgriffe im Format (Träume — Teufelskinder), zu den
besten Arbeiten Kubins. Das kleine Märchenbuch hat sogar
Anwartschaft darauf, populär zu werden.

Klein Irmchen. Ein Kinderliederbuch von Chr. Morgen-
stern. Mit farbigen Zeichnungen von Josua L. Gampp.

Ein Kinderliederbuch für Eltern, die Phantasie haben!
Diese werden es so lieb gewinnen wie ihre Kinder, weil
sie selbst zu Kindern werden, wenn sie diese Verse eines
Poeten lesen, der zugleich tief und einfach, sehr liebevoll
und auch von einer reizenden Klugheit war. Diese Eigen-
schaft, daß auch die Erwachsenen ergriffen werden, teilen
Morgensterns Verse mit Volksliedern und Märchen, mit Ge-
dichten von Claudius und Bürger, mit allen echten kindlichen
Dichtungen. Wenden sich Morgensterns Lieder aber an
das „Kind im Manne", so wenden sie sich nicht weniger
an den im Knaben schlummernden Mann, an die im Mäd-
chen ahnend sich regende Frau. Im Nachsprechen lernt das
Kind vom Munde anspruchsloser Dichtungen etwas von
jener Weisheit, die das Leben einst von ihm verlangt.
Das ist der Ernst dieses heiteren Buches und seine
Schönheit.

Auf den Spuren Freyholds selbständig dahingehend, hat
Josua L. Gampp eine Reihe reizender farbiger Bildchen,
Initialen und Vignetten gezeichnet. Sie kündigen den jungen
Künstler als einen anmutigen Illustrator an. Treu seinem
Bestreben, dem schönen Buch neue Talente zuzuführen,
hat der Verlag diesem Zeichner die schönste Aufgabe ge-
stellt. Er hat dem Buch auch sonst solche Pflege ange-
deihen lassen, daß man spürt, wie sehr das Herz beteiligt
gewesen ist. Das Resultat ist ein vorbildliches Kinderbuch,
das um so schwerer wiegt, als sich unsere Kleinen gemein-
hin mit dem Leeren und Albernen abgeben müssen.

Henri Rousseau von Wilhelm Uhde. Mit drei-
zehn Netzätzungen. Rudolf Kaemmerer Verlag, Dresden
1921.

In diesem schmalen Buch ist viel Sympathisches. Strecken-
weis ist es in einem reizenden, leichten aber gefühlvollen,
französisch geschulten Plauderton geschrieben, der die ge-
naue Kenntnis des Verfassers von der Persönlichkeit und
vom Leben Rousseaus aufs beste zur Geltung bringt. Und
es ist erfüllt von einer Liebe zum Gegenstand, wie sie einer
pionierenden Würdigung besonders gut ansteht. Kein emp-
findungsfähiger Leser wird dem Verfasser die Gefolgschaft
weigern, wo er von seinen Pariser Tagen in der Nähe
Rousseaus erzählt und dessen Bilder rühmt, deren erster
Sammler und Propagandist er war. Leider versagt Uhde
an anderen Stellen in einer etwas peinlichen Weise. Zu
große Liebe schadet nichts, doch sollte sie nie auf Kosten
anderer Künstler gehen. Wenn Uhde feierlich zu Rousseau
sagt: „Du gabst der Kunst die Seele zurück . . ." und: „Du
nahmst den Dingen den Schein . . .", und wenn er weiter-
hin von Manet sagt, dieser sei „mehr begrenzten malerischen
Interessen nachgegangen und habe, trotz aller großen For-
mate und Kompositionen, doch nur bildähnliche Farben-
oder Tonschönheiten geschaffen, während Poussin, Chardin,
Ingres, Corot, Delacroix, Courbet, Seurat und Henri Rousseau
aus umfangreichen und vielseitigen Gefühlskomplexen her-
aus Bilder (von Uhde gesperrt) gemalt hätten", so ver-
führt seine Liebe ihn zu Schiefheiten und Manierirtheiten
im Urteil, die das ganze Buch diskreditieren. Man darf in
einem Buch über Henri Rousseau nicht Manet herabsetzen.
Das schmälert die Wirkung und ist schon taktisch ein arger
Fehler. Uhde verliert in dieser Weise zuweilen den Maß-
stab. Es geschieht vor allem dort, wo er dithyrambisch
zu sprechen beginnt. Das apostolische Pathos will zum
Plauderton des Boulevardiers eben nicht passen, der Stil
der Darstellung wird zerrissen.

Für die sachlichen Nachrichten ist man sehr dankbar;
die mitgeteilten Tatsachen sind aufs höchste interessant
und ermöglichen es dem Leser, sich selber ein Bild vom
Wesen des nachimpressionistischen Romantikers zu machen.
Um so mehr als die Lektüre durch eine Anzahl guter Ab-
bildungen unterstützt wird. Wenn Uhde einmal daran gehen
sollte — er deutet die Möglichkeit an — eine ausführliche
Biographie Rousseaus zu schreiben, so sei ihm empfohlen,
auf alle erhabenen, so leicht ins Triviale gleitenden Abstrak-
tionen zu verzichten und dafür jenen Ton festzuhalten, den
er mit schöner Sicherheit beherrscht.
 
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