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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 24.1926

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Heft 1
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Scheffler, Karl: Slevogts "Faust II"
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https://doi.org/10.11588/diglit.7391#0029

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und von dem in den Kreisen der Gebildeten die
Meinung im Schwange ist, er sei ohne Kom-
mentar überhaupt nicht zu verstehen. Den zweiten
Teil der Fausttragödie nur zu lesen, aufmerksam
von vorn bis hinten: das erscheint dem ehrgeizigen
deutschen Leser als eine Tat, wozu man sich
rüsten müsse, wie zu einer langen Reise. Der
Deutsche, der diese Aufgabe einmal im Leben
absolviert hat, denkt höher von sich selbst, er
sonnt sich im Tiefsinn der Goethischen Gedanken
und glaubt weiser geworden zu sein. Da ist un-
schwer die Betroffenheit solcher sich selbst feier-
lich nehmender Leser vorstellbar, wenn sie nun
sehen, mit welcher Unbefangenheit der große Illu-
strator Slevogt an die selbstgewählte Aufgabe her-
antritt, wie es ihm scheinbar spielend gelingt, das
Verwickelte heiter ernst und anmutig verwegen
aufzulösen, wie er im Gedanklichen die darin ver-
borgene sinnliche Fülle findet, wie er aus Ab-
gründen der Abstraktion schöne Natur heraufholt,
wie sich ihm Offenbarungen der Lebensweisheit
in Gestalten verwandeln, und wie er eine ganze
moderne Schöpfungsgeschichte auf eine hell be-

leuchtete Bühne hebt, das Poetische optisch, die
Imagination greifbar, das Gedankliche sinnlich
vorstellbar machend. Ideen verwandeln sich in
Bilder; Gestalten, die Träger großer Symbole sind,
werden vom Zeichner beschworen, wie Faust selbst
Helena beschwört, bis sie leben und atmen. Ohne
realistische Aufdringlichkeit. Die erfundenen Wirk-
lichkeiten Slevogts werden von Arabesken und
Ranken getragen, seine Gestalten nehmen alle auch
teil an einem Spiel, in dem das Symbol des
Dichters noch einmal symbolisiert wird: dem Illu-
strator wird die ganze Tragödie zu einer roman-
tisch klassischen, zu einer nordisch antiken, christ-
lich heidnischen Walpurgisnacht. Mit den Instink-
ten seiner glücklichen Natur hat Slevogt rasch das
von Goethe gewollte Opernhafte der Tragödie er-
faßt. Nicht nur das Opernhafte in den Masken-
zügen und Zauberkünsten, im Karnevalstreiben,
in den nächtlichen Szenen am Peneios und in
den Engelschören, sondern das Opernhafte selbst
in dem, was man das Biblische des großen Dicht-
werks nennen könnte. In Slevogts Zeichnungen
erscheint der Gesang, der vielstimmig die fünf
 
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