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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 24.1926

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Heft 2
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Behrendt, Walter Curt: Aus dem Tagebuch einer Amerikareise, [2]: das Herz der Welt oder die Stadt des Teufels
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https://doi.org/10.11588/diglit.7391#0087

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NEW YORK, REKLAMEGERÜSTE

an, der uns für zehn Tage ein wohliges Heimats-
gefühl gegeben hat. Und eine Stunde später sind
wir hineingerissen in das rasende Leben dieser
Stadt, aufgenommen von ihrem wirbelnden Tempo,
eingehängt in die gleitende Kette ihrer Maschinerie.

An der Mündung eines mächtigen, von einer
anmutig bewegten Uferlandschaft besäumten Stro-
mes gelegen, dessen breites Bett noch weit bis ins
Land hinein für Seeschiffe stattlicher Größe be-
fahrbar ist — an einem Punkte der Küste, der durch
seine vorgeschobene Nähe zum europäischen Kon-
tinent und durch seine günstigen Verbindungen
mit dem Hinterland einen natürlichen Konzen-
trationspunkt des Binnen- und Überseeverkehrs
bildet — erfreut sich New York der Gunst einer

landschaftlich und wirtschaftsgeographisch
gleicherweise bevorzugten Lage. Was hätte
an diesem verschwenderisch begünstigten
Platz aus einer Stadt werden können, deren
Schicksal es nach ihrer natürlichen Lage ist,
ein gewaltiges Sammelbecken wirtschaftlicher
Macht zu sein, was hätte aus dieser Stadt
werden können, wenn eine lebensvolle Kultur
den Mutterboden ihres triebhaften, kraft-
strotzenden Wachstums bereitet hätte?

Diese Riesenstadt beherbergt heute in
ihren Grenzen etwa den neunten Teil der
Gesamtbevölkerung der Vereinigten Staaten;
durch ihren Hafen flutet nahezu die Hälfte
der amerikanischen Ausfuhr; mehr als vier
Fünftel aller Geldgeschäfte des Landes wer-
den hier erledigt und der Wert der an die-
sem Platz erzeugten Güter beträgt etwa ein
Siebentel des gesamten Produktionswertes des
Landes.

Wir haben heute die Insel Manhattan, das
Becken dieses gewaltigen Wirtschaftszentrums,
umfahren. Zuerst den von unzähligen Schiffen
bewegten Hudson hinauf, vorbei an den jungen
Parkanlagen von River Side, hinter denen
sich ein Wohnviertel der Reichen erhebt,
ältere Villen in allen Stilen der Welt und
dazwischen, gewaltsam hineingeschoben, neue,
turmhohe Miethäuser, glatte, vierkantige Kästen
mit flachen Dächern, auf denen nackt und
häßlich unförmige eiserne Wassertanks mon-
tiert sind; stromauf bis zu dem Punkt, wo
das Weichbild der Stadt beginnt, wo die Be-
bauung lockerer wird und zwischen Busch und
Baum das weiß gestrichene Holzwerk anmutiger
Landhäuser hindurchschimmert. Dann den leicht-
gewundenen Harlem River hinab, an freundlichen
Ufergründen vorbei, unter mächtigen, schön ge-
wölbten Bogenbrücken hindurch, Schöpfungen der
jüngsten Zeit, in denen der Ingenieur wiederum
seine formgestaltende Überlegenheit über den Archi-
tekten erweist. Zwischen neuen Fabriken, großen
Bootswerften und schäbigen, verwahrlosten Vor-
stadthäusern hindurch, hinein in den stattlich breiten,
inselreichen East River, der mit dem bunten Ge-
wimmel von Fahrzeugen aller Art, kleinen flinken
Schaluppen, sonderbar geformten Baggern, Fracht-
kähnen, Seedampfern und riesigen Fährbooten, auf
denen ganze Güterzüge auf einmal von einem Ufer

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