GEORG KOLBE, BRUNNENFIGUR. BRONZE. 1925
AUSGESTELLT BEI PAUL CASSIRER, BERLIN
rings um die Vorstadt auf. Dahinter ragen die
kahlen Brandmauern freudloser Arbeiterquartiere
empor, auf riesigen Plakatwänden offerieren Grund-
stücksgesellschaften ihre gutgelegenen Wohn- und
Industriegelände und Ford verkündet mit lapidarem
Anschlag die tägliche Rekordleistung seiner Auto-
mobilwerke: „7000 mehr als gestern". Keine bo-
denständige Uberlieferung setzt die neuen Teile jener
wachsenden Siedlungen in Einklang zu
ihrer Umgebung, kein gepflegtes Natur-
gefühl bringt die Werke der Menschen-
hand, die Fabriken, die Eisenbahndämme,
Brücken und Automobilstraßen, in
Übereinstimmung mit den Linien der
Landschaft, kein Verunstaltungsgesetz
schützt ihre natürliche Schönheit vor
dem skrupellosen Draufgängertum einer
unbeherrschten Wirtschaft.
So bestätigt die flüchtige Fahrt über
Land den Eindruck des Provisorischen
und Ungeformten, des Unfertigen und
Werdenden. Es ist, als ob das ganze
Land sich noch in Bewegung befände,
als ob es nirgends schon eine feste
Seßhaftigkeit gäbe, als ob man noch
nirgends begonnen habe zu siedeln.
Wie aber erst mit und durch die enge
und dauerhafte Verbindung mit dem
Boden die natürliche Landschaft zur
geschichtlichen Kulturlandschaft umge-
wandelt wird, so kann auch erst mit
dem Eintritt der Seßhaftigkeit eine echte
und tiefe Kultur entstehen.
Ein kräftiges, von keiner Art Ge-
dankenblässe beschwertes Volk lebt hier,
in sorglosem Bewußtsein seiner uner-
meßlich reichen, natürlichen Hilfsquel-
len, dem ungestümen Drang seiner Ju-
gend. Was wird geschehen, wenn die-
ser urwüchsige Knabe zum Jüngling ge-
reift ist, wenn er gelernt hat, seine
starken Kräfte zu disziplinieren, wenn
er gezwungen sein wird, mit seinen heute noch
unerschöpflich scheinenden Hilfsquellen hauszu-
halten? Zu dieser Zeit wird sich das Schick-
sal Amerikas entscheiden. Und diese Entscheidung
wiederum wird davon abhängen, ob der Jüng-
ling dann in sich entdecken wird, was man nach
deutschem Sprachgebrauch gemeinhin die Volks-
seele nennt.
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AUSGESTELLT BEI PAUL CASSIRER, BERLIN
rings um die Vorstadt auf. Dahinter ragen die
kahlen Brandmauern freudloser Arbeiterquartiere
empor, auf riesigen Plakatwänden offerieren Grund-
stücksgesellschaften ihre gutgelegenen Wohn- und
Industriegelände und Ford verkündet mit lapidarem
Anschlag die tägliche Rekordleistung seiner Auto-
mobilwerke: „7000 mehr als gestern". Keine bo-
denständige Uberlieferung setzt die neuen Teile jener
wachsenden Siedlungen in Einklang zu
ihrer Umgebung, kein gepflegtes Natur-
gefühl bringt die Werke der Menschen-
hand, die Fabriken, die Eisenbahndämme,
Brücken und Automobilstraßen, in
Übereinstimmung mit den Linien der
Landschaft, kein Verunstaltungsgesetz
schützt ihre natürliche Schönheit vor
dem skrupellosen Draufgängertum einer
unbeherrschten Wirtschaft.
So bestätigt die flüchtige Fahrt über
Land den Eindruck des Provisorischen
und Ungeformten, des Unfertigen und
Werdenden. Es ist, als ob das ganze
Land sich noch in Bewegung befände,
als ob es nirgends schon eine feste
Seßhaftigkeit gäbe, als ob man noch
nirgends begonnen habe zu siedeln.
Wie aber erst mit und durch die enge
und dauerhafte Verbindung mit dem
Boden die natürliche Landschaft zur
geschichtlichen Kulturlandschaft umge-
wandelt wird, so kann auch erst mit
dem Eintritt der Seßhaftigkeit eine echte
und tiefe Kultur entstehen.
Ein kräftiges, von keiner Art Ge-
dankenblässe beschwertes Volk lebt hier,
in sorglosem Bewußtsein seiner uner-
meßlich reichen, natürlichen Hilfsquel-
len, dem ungestümen Drang seiner Ju-
gend. Was wird geschehen, wenn die-
ser urwüchsige Knabe zum Jüngling ge-
reift ist, wenn er gelernt hat, seine
starken Kräfte zu disziplinieren, wenn
er gezwungen sein wird, mit seinen heute noch
unerschöpflich scheinenden Hilfsquellen hauszu-
halten? Zu dieser Zeit wird sich das Schick-
sal Amerikas entscheiden. Und diese Entscheidung
wiederum wird davon abhängen, ob der Jüng-
ling dann in sich entdecken wird, was man nach
deutschem Sprachgebrauch gemeinhin die Volks-
seele nennt.
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