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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 24.1926

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Heft 3
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Cohn, William: Aus meinem ostasiatischen Reisetagebuch, [1]: Gal-Vihara
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https://doi.org/10.11588/diglit.7391#0126

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AUS MEINEM OSTASIA T ISCHEN REISE T A G E B U C H

VON

WILLIAM COHN

GAL-VI

Polonnaruwa, den 20. XI. 1924.
Am Morgen um Sonnenaufgang geht es zum
■^-L. Gal-Vihara. Die Anlage liegt etwas abseits vom
Zentrum der zahllosen Ruinen von Polonnaruwa,
der einstigen berühmten Hauptstadt Ceylons. Ein
Seitenweg führt durch Dschungelwald in etwa
zwanzig Minuten zum Ziel. Wieder umrauscht
uns das Orchester der unter den ersten Sonnen-
strahlen eben erwachenden Vogelwelt. Auch die
Affen und Äffchen sind schon bei der Morgen-
toilette oder auf der Suche nach Nahrung und
blicken uns neugierig an. Das Gebüsch lichtet sich
und plötzlich stehen wir vor dem gewaltigen Denk-
mal. Wir sind nicht die ersten Besucher. Weiß-
gekleidete buddhistische Nonnen, wie wir sie schon
so oft gruppenweise von Heiligtum zu Heiligtum
pilgernd auf Ceylon getroffen hatten, verrichten
bereits ihre Morgenandacht. Wir erklettern eine
kleine Felsnase, die dem Gal-Vihara gerade gegen-
überliegt, und von hier aus ist die ganze Anlage
mit einem Blick zu übersehen. Ein einziger mäch-
tiger, segmentartig aus dem Boden aufragender Fels

GAL-VIHARA, KOPF DES LIEGENDEN BUDDHA

HARA

ist zu einer Bildgruppe gestaltet. Den lebenden
Felsen zu menschlicher oder tierischer rundplasti-
scher Form umzubilden, scheint allein Südindien
gewagt zu haben. Auch Gal-Vihara ist keine
Schöpfung singhalesischen, sondern südindischen
Geistes. Links vor uns in einer reichgeschmückten
Nische erhebt sich die Gestalt eines sitzenden
Buddha. Es folgt eine vergitterte Höhle, in deren
tiefen Schatten man eine buddhistische Trinität,
reliefmäßig aus dem Felsen gehauen, eben noch
erkennen kann. Daneben steht die acht Meter hohe
Figur des trauernden Ananda, des Lieblingsschülers
Buddhas, mit vor der Brust ehrerbietig gekreuzten
Armen. Die ganze rechte Seite des Kreissegments
nimmt in einer Länge von fünfzehn Meter die
Darstellung des liegenden Buddha ein, des schla-
fenden, wie der Volksmund meint, des Buddha
im Nirvana, wie wir zu sagen pflegen. Jeder kom-
positionelle Zusammenhang zwischen den Gliedern
der Gruppe fehlt. Nur der einheitliche schwarze
Granitfels, von dem Tropenregen der Jahrhunderte
an vielen Stellen gleichsam ergraut oder weiß ge-
worden, gibt die Bindung. Kalugal-Vihara, das
heißt Schwarzfelstempel, ist der eigentliche Name.

Man darf keine Feinheit im Detail suchen. Die
mächtigen Abmessungen und die Härte des Granits
lassen nur große Formen zu. Auch würde die
blendende Sonne jede Einzelheit verschlingen. Der
tiefe Eindruck, der von Gal-Vihara ausgeht, rührt
von der kühnen Monumentalität der Gesamtanlage
her, von der unendlichen Ruhe und feierlichen
Strenge, die über den Gestalten liegt, von dem
bezaubernden Zusammenklang von tropischer Natur
und menschlicher Schöpfung; nein, nicht nur Zu-
sammenklang, sondern Durchdringung könnte man
es nennen.

Der Gal-Vihara ist ein spätbuddhistisches Denk-
mal. Er gehört derselben Zeit an, wie die meisten
Ruinen von Polonnaruwa. Parakrama (1164—97),
der der Große genannt wird, der mächtigste Fürst,
den die Insel sah, war zweifellos sein Erbauer.
Längst war der Buddhismus damals auf dem Fest-
lande erloschen, in Ceylon blühte er, wie er noch
heute dort blüht.

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