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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 24.1926

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Heft 4
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Grossmann, Rudolf: Gedanken über Karikatur, Komik und Karikaturisten
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https://doi.org/10.11588/diglit.7391#0174

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RUD. GROSSMANN, BILDNISZEICHNUNG TH. TH. HEINE

sein, sie gleicht dann dem Zerr-
bild eines Hohlspiegels; um so
künstlerischer wird sie, je mehr
Einzelzüge unter ein psychisches
Gesamtbild summiert werden.
Auch will nicht jede Karikatur
herabziehen. Selbst ein gebore-
ner Karikaturist wie Gulbransson
faßt Karikatur als eine Steige-
rung; er spricht vom „Kubik-
wurzelausziehen".

Zur Karikatur gewisserma-
ßen vorbestimmt scheinen die
„Benachteiligten des Lebens".
Die Verwachsenen, Abnormen,
geistig Vertrackten und mit einem
Tick Behafteten; sie stellen sich
in Gegensatz zum normal Mensch-
lichen und wirken durch die Fixie-
rung ihrer Abnormität, die aber
immer noch im Bereich des
Menschlichen liegen und Ver-
gleiche zulassen muß.

Doch gibt es auch Gesichter
oder Körper, wo die Gleichge-
wichtsstörung nicht auf der Hand
liegt und nicht so leicht heraus-
zuholen ist. Da ist es oft eine
kaum wahrnehmbare Geste, ir-
gendein flüchtiger Zug,wo derKa-
rikaturist einhakt und von dort
aus das Gesamtbild organisiert.

Die Karikatur kann entweder aus einem mehr
verneinenden Gefühl, aus einem Nichteinverstan-
densein mit der Wirklichkeit entstehen (wie etwa
bei Th. Th. Heine und bei Heinrich Heine), oder
aus einem mehr bejahenden Gefühl, aus einem
liebevollen Sichversenken in die Wirklichkeit, das
spielend zärtlich übertreibt (Oberländer, Zille, Pascin,
Rowlandson), oder es ist, wie etwa bei Voltaire,
Lautrec, Daumier, beides vereint zu einem großen
tragikomischen, weltumfassenden Gefühl shake-
spearischen Umfanges.

*

Das Wort Karikatur, von caricare, „belasten",
bedeutet eine Art isolierten Sehens, eine scheinbare
Gleichgewichtsstörung der einzelnen Teile in bezug
auf das Ganze. Diese Störung kann sehr einseitig

Ingres sagt: „In jedem gut charakterisierten
Porträt ist ein Zusatz von Karikatur". Der Laie
ist geneigt, diesen Zusatz mit Karikatur schlecht-
weg zu bezeichnen, also jede Charakteristik gleich
Karikatur zu setzen. So erschien dem Laien jede
Kunstentwicklung in ihren Anfängen, ob man sie
nun impressionistisch oder expressionistisch etiket-
tierte, zuerst als Karikatur, weil er ihre Hiero-
glyphe nicht zu lesen, formal nicht zu deuten ver-
stand. Der Begriff Karikatur ist ein Dehnbegriff
geworden.

In dem Sinn, wie der Laie sie sieht, sind die
karikaturistischen Künstler meistens keine, oder sie
sind wider Willen, was sie sind. Das Lachen wird
ihnen gewissermaßen aufgezwungen, es wirkt als
weckendes, störendes Akzessoir (Oberländer soll

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