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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 24.1926

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Heft 4
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Martin,Günther: Die Vereinigung der Kunsthochschulen und Kunstgewerbeschulen, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.7391#0183

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Hochschule sich bald verschließen, es gilt gleich-
viel. Immer wird das Genie mit raschem Instinkt
die Formen aufspüren, in denen seine Zeit ihren
geistigen Gehalt dogmatisch festlegt; es wird die
Mittel jener Formen verstehen und gebrauchen
lernen und sein Protest wird sich an dem Dogma
jener Formen auswirken.

So ist es ein falsches Urteil: die Hochschule
müsse reformiert werden, weil sie nicht zulange
für die Individualität des Genies. In dem histo-
rischen Gegensatz zwischen Genie und Kunstschule
ist kein Vorwurf für diese enthalten. Die Frage
der Reform ist vielmehr die, ob die jeweiligen
Dogmen des Kunstunterrichtes wirklich historische
Gültigkeit haben, also echte Dogmen sind oder ob sie
etwa mit intellektualistischer Eitelkeit (um Indivi-
dualität vorzutäuschen) aus solchen Kunstleistungen
konstruiert werden, die keinen direkten historischen
Zusammenhang mit der Gegenwart haben. So
stellen z. ß., nachdem im vorigen Jahrhundert die
Kunst aufhörte, als Stil allgemein gültige Bedin-
gungen des Kunstschaffens zu formulieren, die in-
dividuellen Leistungen der einzelnen Persönlich-
keiten der Kunst in ihrer historischen Entwicklung
normative Werte dar, die für die Möglichkeit wei-
terer Kunstentwicklung ein Dogma abgeben müssen.
Es würde naheliegen, hier diejenigen Leistungen,
die schon mit historischer Gültigkeit noch in die
Gegenwart hineinragen oder der jüngsten Ver-
gangenheit angehören, mit Namen zu belegen, doch
würde bei solchen beispielhaften Nennungen der
eigentliche Sinn des Dogmas leicht als ein Kunst-
programm mißdeutet werden. Denn auch über
die Bildung des Lehrbegriffes in der Kunst ent-
scheidet nicht die kunsthistorische Konzeption, son-
dern der künstlerische Instinkt. Diese sachliche und
historische Aufgabe wird nun im heutigen Kunst-
unterricht durchkreuzt durch die Tendenz, zur In-
dividualität, dem äußeren Merkmal der Freiheit
und der Persönlichkeit, zu erziehen. Da nun aber
Unterricht überhaupt nicht ohne Lehrbegriffe mög-
lich ist und diese ein Dogma voraussetzen, so
werden die Kunstleistungen der verschiedensten

Zeiten und Völker willkürlich zusammengetragen
— je weiter die Leistungen historisch von der
Gegenwart entfernt sind, um so größere „Freiheit"
glaubt man zu besitzen — und aus ihnen werden
die merkwürdigsten Dogmen konstruiert. Mit Hilfe
solcher Dogmen werden dann „Individualitäten"
gleichsam auf Flaschen gezogen und säuberlich
etikettiert.

Besonders sind es Kunstgewerbeschulen, die,
indem sie ihre eigentliche historische Aurgabe, die
sie auf das Handwerk verweist, verfehlen, sich
durch solche intellektualistischen Konstruktionen von
Kunstindividualitäten zur Geltung zu bringen ver-
suchen. Es ergibt sich somit das widersinnige Bild,
daß gerade diejenigen Leistungen, die sachlich in
dem Gebrauchszweck ihrer Gegenstände ihr erstes
Kriterium besitzen sollten, den größten Anspruch
auf Wertung als individuelle Kunstschöpfung er-
heben. Mit diesem prahlerischen Anspruch halten
sie ihren Einzug auf den Hochschulen, und dieser
Anspruch erhält hier um so mehr den Schein eines
Rechtes, je weniger im Laufe der historischen Ent-
wicklung an der Hochschule selbst die für die
Anwendung von Lehrbegriffen unerläßliche Vor-
aussetzung eines gesicherten Handwerkskönnens
erfüllt ist.

Der Verfall des Handwerks stellt zwar der Hoch-
schule die neue Aufgabe, dieses selbst in ihre Lehr-
begriffe aufzunehmen, welche Forderung durch
die Angliederung eines der Aufgaben der ange-
wandten Kunst wirklich bewußten Kunsthandwerks
bestens erfüllt wäre, während das Kunstgewerbe
diesen Aufgaben gegenüber bisher versagt hat.
Jedoch der Charakter der Hochschule ist allein
durch die Lehrbegriffe gewährleistet, die sich auf
die freie Darstellung der Natur beziehen. Denn
die Prinzipien der Gestaltung, deren instinktmäßig
sichere Erfassung aus den jeweilig die Tradition
bestimmenden Kunstleistungen gefordert wird, be-
tätigen sich in der freien Auffassung der Natur,
werden also allein im Studium der Natur ver-
mittelt.

(Fortsetzung Folgt.)

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