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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 24.1926

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Heft 5
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Faschingschronik
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https://doi.org/10.11588/diglit.7391#0231

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MAX SLEVOGT, EINLADUNGSKARTE ZUM ZIRKUSFEST DER FREIEN SEZESSION 1922. LITHOGRAPHIE

Der Generalbildmarschall. Der Ruhm des Mar-
schall Petain, der bekanntlich zum Direktor des Museums
von Chantilly ernannt worden ist, hat Ludendorff nicht
schlafen lassen. Er ist bei Hitler vorstellig geworden und
wird bei dem für den Aschermittwoch angesagten Putsch
den Titel eines Generalbildmarschalls und damit die Leitung
der bayrischen Kunstsammlungen erhalten. Als erste durch-
greifende Maßnahme ist die Reinigung der Bilderlager
(früher Pinakotheken genannt) von allen fremdstämmigen
Elementen geplant. Gemeint sind nicht nur die Beamten,
die sich natürlich sämtlich einer Blutprobe zu unterwerfen
haben werden, sondern vor allem die Bildwerke. Nur solche
von Künstlern garantiert rasserein arisch germanischer Ab-
stammung werden in Zukunft geduldet werden. Einer be-
sonders peinlichen Stammbaumuntersuchung wird sich Rem-
brandt zu unterwerfen haben, der jüdischer Herkunft dringend
verdächtig ist. Michelangelos germanische Abstammung gilt
nach den Forschungen von Brockhaus für erwiesen. Alle
Darstellungen aus dem Alten Testament werden aus dem
Bilderlager entfernt werden. Augenblicklich werden Ver-
handlungen mit Vertretern der Zentrumspartei gepflogen über
die Frage, ob auch die Bilder des christlichen Glaubens-

kreises ausgeräumt werden sollen. Die extrem gerichteten
Herren der Umgebung des künftigen Generalbildmarschalls
vertreten die Anschauung, die nationalen Belange könnten
nur gewahrt werden, wenn ausschließlich Darstellungen des alt-
germanischenWotansdienstes im Bilderlager zugelassen würden.

Die Deflauktion. Der Mißerfolgzahlreicher Kunst-
versteigerungen der letzten Monate hat ein bekanntes Ber-
liner Auktionshaus zu einem ebenso interessanten wie nach-
ahmenswerten Versuch veranlaßt. Es ist nämlich statt des
bisher üblichen Steigerns der Preise das Abwärtsbieten ein-
geführt worden. Der Ertolg war ein geradezu erstaunlicher.
Das Publikum, das sich sonst nur allzu reserviert zu ver-
halten pflegte, beteiligte sich in fast stürmischer Weise an
dem Abwärtsgebot. Die Preise sanken mit ungeahnter Ge-
schwindigkeit, und während sonst die überwiegende Mehr-
zahl der Kunstwerke wegen mangelnden Interesses der
Käufer zurückgezogen werden mußte, fand diesmal das ge-
samte Material geradezu reißenden Absatz. Wir zweifeln
nicht, daß das neue System bald zahlreiche Anhänger finden
wird. Es erscheint wie das Ei des Kolumbus des Kunst-
handels. Man muß sich nur wundern, daß man nicht früher

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