Madrid verleben wollten und allerlei zigeunerhaftes
Volk in beneidenswertem Dolce far niente selige
Stunden. Man konnte da auf einer richtigen Sand-
bahn Kegel spielen, auf dem Rasen schlafen und
was die Insel — die einst bessere Tage gesehen
hatte — zu einem besonderen Anziehungspunkt
machte: man konnte angeln! Und da die Moldau
im Umkreis der Insel als besonders fischreich galt
— die fachmännische Begründung dieses Axioms
habe ich vergessen —, so sah man überall an den
Ufern Angler sitzen oder, dort wo der Fluß seicht
war, im Wasser stehen; wo die Fische besonders
anzubeißen schienen oft mehrere, neidisch und
eifersüchtig, einer den andern scheel beobachtend.
Diese schlafenden und lungernden Nichtstuer,
diese Angler waren mir besonders sympathisch.
Ruhige Leute, die sich wenig oder gar nicht be-
wegen, gute Modelle für mein Skizzenbuch, das
mich schon damals immer begleitet hat. Wieviel
glückliche Stunden verdanke ich diesem maleri-
schen Eiland, diesem refugium peccatoris.
Einer dieser Angler blieb mir in Verbindung
mit der nachfolgenden Erinnerung besonders im
Gedächtnis. Ein merkwürdiger Kauz, eine ver-
schrobene Figur, mit einem stillen Lächeln in den
verdrückten Zügen, war ein besonderes Lieblings-
modell für meinen Hartmuth No. 2.
Da meine stille Arbeit die Fische nicht störte,
wie er meinte, saß ich oft in seiner Nähe, mit
der Zeit ein angewöhnter Gast. Wenn ich längere
Zeit weggeblieben war — denn hie und da mußte
ich ja doch etwas für die Schule tun —, wurde
ich mit einem eckigen Kopfschütteln begrüßt:
„Lange nicht dagewesen!"
Eines Tages saß ich wieder in seiner Nähe.
Da kam Besuch: ein Freund oder Handwerks-
genosse — ich hatte ihn selbst nie nach seiner
Profession gefragt — schlürfte heran und begann
ein Gespräch, während mein Angler aus einer
Blechbüchse ein Regenwurmknäuel löste, um den
passenden Köder bedachtsam auszuwählen. (Die
Qualität dieses Köders wurde nach dem Wetter
und besonderen Umständen, „Stimmung der Fische",
„Strömung des Wassers", bestimmt.)
„Ich weiß nicht, was das für dich ist: immer
nach der Angel zu sehen, stundenlang hier her-
umzuhocken und nur bei gutem Glück so viel
zu fangen, daß es nicht einmal für einen ordent-
lichen Teller reicht." „Mein Lieber, das verstehst
du nicht! Angeln, das ist etwas ganz besonderes,
das ist schöner als betrunken sein, da vergißt man
alles, allen Dreck, Mühe und alle Sorgen. Das ist
noch schöner als Maschkera."
Damals habe ich begriffen, daß der Trunk für
viele ein Lethe-Trinken ist, und als der Fasching
kam und am Abend die Maschkera begann — die
Maskierten zu den Fastnachtsbällen zogen —, sah
ich sie alle mit anderen Augen, neidisch, nicht ob
der bunten Fetzen, sondern als Befreite, als Ver-
wandelte; sich selbst zu verstecken in ein buntes
Kleid, mehr sich selbst unkenntlich, als den an-
dern, das macht die wahre Freude am Masken-
kleid.
Diese farbigen Fetzen haben oft ein suggestives
Fluidum in sich, das den Träger trunken macht,
der vom Wein noch nicht genossen.
Hat er nun auch die Kappe mitgebracht,
Nun sind wir alle neugeboren;
Ein jeder weltgewandte Mann
Zieht sie behaglich über Kopf und Ohren;
Sie ähnlet ihn verrückten Toren,
Er ist darunter weise, wie er kann.
Die Lebensstimmung, die mich packt und in
der Erinnerung an meinen weisen Angler betört,
wenn ich verkleidet unter Verkleideten, mitten im
Strome des phantastischen Trubels mittreibe: sie
blieb mir erhalten bis in meinen grauen Bart.
*
In den letzten zwanzig Jahren haben die kleinen
und großen Maskenfeste in Berlin ihren Charakter
vollkommen verändert. Besonders in der Nach-
kriegszeit hat der lang anhaltende Hunger nach
tollem Sichausleben in die Nächte der Faschings-
zeit verwegene und ausgelassene Stimmungen ge-
bracht. Die Wandlung und Wanderung der In-
tentionen, die freilich kurzlebig durch die Revolution
in der Jugend einen fast hektischen Drang nach
Neuem und Exaltiertem entstehen ließ, die sowohl
in der Dichtkunst wie in den bildenden Künsten
fast zu einer Art Paroxismus führten, gab Wider-
schein ihrer Farben dem Maskentreiben. Un-
zweifelhaft waren die Maskenfeste in allen Zeiten
ein Spiegel der Kunstströmungen; sie waren und
sind abhängig von der Mode und, wenn es er-
laubt ist, das Wort zu gebrauchen, von den je-
weiligen „nationalökonomischen" Verhältnissen.
Doepler d. J., der verwöhnte Mentor des Hofes,
zeigte mir Photographien, die auf den Masken-
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Volk in beneidenswertem Dolce far niente selige
Stunden. Man konnte da auf einer richtigen Sand-
bahn Kegel spielen, auf dem Rasen schlafen und
was die Insel — die einst bessere Tage gesehen
hatte — zu einem besonderen Anziehungspunkt
machte: man konnte angeln! Und da die Moldau
im Umkreis der Insel als besonders fischreich galt
— die fachmännische Begründung dieses Axioms
habe ich vergessen —, so sah man überall an den
Ufern Angler sitzen oder, dort wo der Fluß seicht
war, im Wasser stehen; wo die Fische besonders
anzubeißen schienen oft mehrere, neidisch und
eifersüchtig, einer den andern scheel beobachtend.
Diese schlafenden und lungernden Nichtstuer,
diese Angler waren mir besonders sympathisch.
Ruhige Leute, die sich wenig oder gar nicht be-
wegen, gute Modelle für mein Skizzenbuch, das
mich schon damals immer begleitet hat. Wieviel
glückliche Stunden verdanke ich diesem maleri-
schen Eiland, diesem refugium peccatoris.
Einer dieser Angler blieb mir in Verbindung
mit der nachfolgenden Erinnerung besonders im
Gedächtnis. Ein merkwürdiger Kauz, eine ver-
schrobene Figur, mit einem stillen Lächeln in den
verdrückten Zügen, war ein besonderes Lieblings-
modell für meinen Hartmuth No. 2.
Da meine stille Arbeit die Fische nicht störte,
wie er meinte, saß ich oft in seiner Nähe, mit
der Zeit ein angewöhnter Gast. Wenn ich längere
Zeit weggeblieben war — denn hie und da mußte
ich ja doch etwas für die Schule tun —, wurde
ich mit einem eckigen Kopfschütteln begrüßt:
„Lange nicht dagewesen!"
Eines Tages saß ich wieder in seiner Nähe.
Da kam Besuch: ein Freund oder Handwerks-
genosse — ich hatte ihn selbst nie nach seiner
Profession gefragt — schlürfte heran und begann
ein Gespräch, während mein Angler aus einer
Blechbüchse ein Regenwurmknäuel löste, um den
passenden Köder bedachtsam auszuwählen. (Die
Qualität dieses Köders wurde nach dem Wetter
und besonderen Umständen, „Stimmung der Fische",
„Strömung des Wassers", bestimmt.)
„Ich weiß nicht, was das für dich ist: immer
nach der Angel zu sehen, stundenlang hier her-
umzuhocken und nur bei gutem Glück so viel
zu fangen, daß es nicht einmal für einen ordent-
lichen Teller reicht." „Mein Lieber, das verstehst
du nicht! Angeln, das ist etwas ganz besonderes,
das ist schöner als betrunken sein, da vergißt man
alles, allen Dreck, Mühe und alle Sorgen. Das ist
noch schöner als Maschkera."
Damals habe ich begriffen, daß der Trunk für
viele ein Lethe-Trinken ist, und als der Fasching
kam und am Abend die Maschkera begann — die
Maskierten zu den Fastnachtsbällen zogen —, sah
ich sie alle mit anderen Augen, neidisch, nicht ob
der bunten Fetzen, sondern als Befreite, als Ver-
wandelte; sich selbst zu verstecken in ein buntes
Kleid, mehr sich selbst unkenntlich, als den an-
dern, das macht die wahre Freude am Masken-
kleid.
Diese farbigen Fetzen haben oft ein suggestives
Fluidum in sich, das den Träger trunken macht,
der vom Wein noch nicht genossen.
Hat er nun auch die Kappe mitgebracht,
Nun sind wir alle neugeboren;
Ein jeder weltgewandte Mann
Zieht sie behaglich über Kopf und Ohren;
Sie ähnlet ihn verrückten Toren,
Er ist darunter weise, wie er kann.
Die Lebensstimmung, die mich packt und in
der Erinnerung an meinen weisen Angler betört,
wenn ich verkleidet unter Verkleideten, mitten im
Strome des phantastischen Trubels mittreibe: sie
blieb mir erhalten bis in meinen grauen Bart.
*
In den letzten zwanzig Jahren haben die kleinen
und großen Maskenfeste in Berlin ihren Charakter
vollkommen verändert. Besonders in der Nach-
kriegszeit hat der lang anhaltende Hunger nach
tollem Sichausleben in die Nächte der Faschings-
zeit verwegene und ausgelassene Stimmungen ge-
bracht. Die Wandlung und Wanderung der In-
tentionen, die freilich kurzlebig durch die Revolution
in der Jugend einen fast hektischen Drang nach
Neuem und Exaltiertem entstehen ließ, die sowohl
in der Dichtkunst wie in den bildenden Künsten
fast zu einer Art Paroxismus führten, gab Wider-
schein ihrer Farben dem Maskentreiben. Un-
zweifelhaft waren die Maskenfeste in allen Zeiten
ein Spiegel der Kunstströmungen; sie waren und
sind abhängig von der Mode und, wenn es er-
laubt ist, das Wort zu gebrauchen, von den je-
weiligen „nationalökonomischen" Verhältnissen.
Doepler d. J., der verwöhnte Mentor des Hofes,
zeigte mir Photographien, die auf den Masken-
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