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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 24.1926

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Heft 8
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Cohn, William: Aus meinem ostasiatischen Reisetagebuch, [3]: Fahrten durch das Hochland von Dekhan
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https://doi.org/10.11588/diglit.7391#0338

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mengebastelt. Dann beginnt der Aufstieg in Be-
gleitung des halben Dorfes. Wenn auch Stufen
in die glatten Granitflächen gehauen sind, biswei-
len sieht die Sache unangenehm aus. Es ist so
heiß geworden, daß der Stein unter den Füßen
brennt, und das Licht so blendend, daß man kaum
aus den Augen schauen kann. Oben befindet sich
eines der eigentümlichsten Denkmäler, das die Welt-
kunst kennt. Die Spitze eines Berges ist zu einem
Gottheitsbild umgestaltet, ein Gedanke, mit dem
auch europäische Meister spielten, der aber nur
an dieser Stelle verwirklicht wurde. Das Werk
hat mit seiner etwa zj m Höhe an Größe nir-
gends seinesgleichen. (Ich notiere aus dem Welt-
reiseführer: Sphinx und Memnonskolosse etwa
20 m, großer Buddha von Nara etwa 16 m Höhe.)
Es erhebt sich inmitten eines Hofes, der von ge-
schlossenen Galerien umgeben ist. Das Ganze er-
gibt die für den Jainismus Südindiens charakteri-
stische Anlage einer Betta im Gegensatz zu den
eigentlichen Tempeln, den Bastis. Jina-Darstellungen
(Jina sind die Hauptheiligen des Jainismus) ge-
hören zu den Schöpfungen indischer Kunst, die
uns noch heute fremdartig berühren, so ähnlich
sie Buddha-Bildern sind. Zu einem vielarmigen tan-
zenden Shiva oder zu einem elephantenköpfigen Ga-
nesha hat man bereits so weit Zugang gefunden,
daß ihr künstlerischer Gehalt ohne weiteres ein-
zuleuchten vermag. Gelingt es eine Buddhafigur
in den meisten Fällen auf stilistischer Grundlage
annähernd zu datieren, bei Jina-Darstellungen
schwebt man sehr oft gänzlich in der Luft. Die
Typen sind jahrhundertelang nahezu unverändert

geblieben. Es scheint, daß im Jainismus den Bil-
dern der Hauptheiligen gegenüber rituelle Vor-
schriften einen besonders starken Druck ausgeübt
haben. Dennoch gehen wir ästhetisch nicht gänz-
lich leer aus, wenn wir uns in die religiöse Idee,
die verkörpert ist, tiefer eingefühlt haben und das
Ganze der Anlage ins Auge fassen. In Shravana
Belgola steht Gommata vor uns, der Sohn des ersten
der vierundzwanzig Propheten der Jaina-Religion,
jener Religion, die etwa gleichzeitig mit dem Bud-
dhismus in Indien zu Ansehen kam, aber im Ge-
gensatz zu ihm, der längst in seiner Heimat so gut
wie verschwunden ist, noch heute blüht. Eine der
geistlichen Hauptübungen des Jainismus ist ähnlich
wie bei den beiden anderen indischen Religionen
die Meditation in regungslosem Zustand, sei es
hockend mit gekreuzten Beinen, sei es stehend. Die
Gläubigen der einen Hauptsekte sollen völlig nackt
gehen. Von Gommata heißt es, daß er ein Jahr
unbeweglich in Meditation verharrte. So ist er ge-
geben, wie sich zu seinen beiden Seiten Ameisen-
haufen gebildet haben, aus denen Schlingpflanzen
wachsen, allmählich die Glieder des Meditierenden
umrankend. Die entscheidenden Lehren des Jainis-
mus sind in einer solchen Gestalt verkörpert. Macht
man sich in dieser Weise den Sinn des Werkes
klar, bedenkt man, welche Inbrunst des Glaubens,
welche Kraft der religiösen Phantasie dazu gehört,
um eine so gewaltige Aufgabe zu lösen, die Natur
und Kunst zu einer neuen eigentümlichen Einheit
vermählt, berücksichtigt man, daß das Monument
auf äußerste Fernwirkung gearbeitet ist, so geht
man nicht ohne innere Bereicherung von dannen.

SHRAVANA BELGOLA, TEMPEL AUF DER CHANDRAGIRI-HÖHE

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