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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 24.1926

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Heft 8
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Réau, Louis: Houdon zur Zeit der Revolution und des Kaiserreichs, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.7391#0346

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Dijon, dem sie im Jahre 1873 ver-
macht wurde. Aus diesem Werke
spricht, wie Gonse sagt, eine so starke
Empfindung und Begeisterung, ein
so vollendeter Zusammenklang von
Naturtreue und Phantasie, daß nichts
darin an einen offiziellen Auftrag ge-
mahnt! Es ist das herrlichste Beispiel
von idealer Übertragung: die trotzigen
Haare sind von einem Stirnband zu-
sammengehalten, dessen Enden auf
die Schultern herabfallen; der tiefe
Blick der Augen hat eine geradezu
faszinierende Wirkung auf den Be-
schauer; die nackte Brust wächst aus
einer Herme empor: wir sehen einen
Halbgott von fast unpersönlichem
Charakter und zugleich den Sieger
von Jena und Austerlitz. Und dieses
glänzende Meisterwerk, darauf muß
ganz besonders hingewiesen werden,
hat Houdon im Jahre 1806 modelliert,
siebzehn Jahre nach der Revolution.
Wer dürfte danach noch behaupten, daß
dieser fünfundsechzigjährige Künstler,
der fähig war, seinen Namen unter eine
solche Büste zu setzen, schon sein letz-
tes Wort gesprochen hatte?

Einige Jahre bevor Houdon die
Büste der Kaiserin Josephine (Mu-
seum von Versailles) schuf, hatte er
die Büste ihrer Schwägerin Christine
Boyer, der ersten Frau Lucien Bon-
apartes, gemacht, die nach fünfjäh-
riger Ehe am 14. Mai 1800 in jungen Jahren
an der Schwindsucht gestorben war. Diese post-
hume Büste, die man auf Boillys Atelierbilde aus
dem Jahre 1803 neben Voltaires Büste erkennt,
steht ihrem im Louvre befindlichen gleichzeitigen
Bilde von Gros nahe, es blieb im Besitz der- Fa-
milie und gehört jetzt dem Grafen Joseph Primoli,
einem Urenkel Lucien Bonapartes.

Zu dieser Gruppe von Porträts der kaiserlichen
Familie müßte auch eine Büste der Prinzessin von
Lucca und Piombino, Elisa Baciocchi, gezählt wer-
den, von der ein Gipsmodell, Houdon 1806 sig-
niert, im Katalog der Sammlung Magnin aufge-
führt wird; es befand sich früher im Hotel de la
Vrilliere, im jetzigen Gebäude der Bank von Frank-

J. A. HOUDON, NAPOLEON I. TERRAKOTTA

MUSEUM DIJON

reich, und gehört zweifellos zu einer Reihe von
Bildnissen der kaiserlichen Familie, die dem Bank-
institut bei seiner Begründung geschenkt worden
waren. Die Haare sind als glattes Band, aus dem
sich leichte mit der Spitze des Meißels angedeutete
Strähnen lösen, um den Kopf geschlungen; ein
Diadem in antiker Form, dessen Mittelpunkt eine
Kamee mit dem Profil Napoleons bildet, schmückt
das Haupt. Diese Büste, von der mehrere Wieder-
holungen existieren, hätte nur Anfang des Jahres
1805 entstanden sein können, da die Prinzessin im
Mai Paris verließ, um sich in ihre Staaten zu be-
geben, von wo sie erst im Jahre 1810 zurückkehrte.
Da diese Büste aber nirgends erwähnt wird, so ist
diese Hypothese zu verwerfen. Am ehesten kann

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