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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 24.1926

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Heft 10
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Kunstausstellungen
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https://doi.org/10.11588/diglit.7391#0442

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Es sieht leider aus, als ob der Ehrgeiz weniger Personen
mit dieser Gründung schnell sichtbare Erfolge erzielen will,
und als ob es mehr auf Kosten der Kunst als Zum Nutzen
der Kunst geschieht. Darum zeigt es sich denn auch jetzt
schon, daß die deutschen Länder außerhalb Preußens keines-
wegs restlos einverstanden sind. Alle wollen, daß Geld für
Kunstankäufe bereitgestellt werde; dieses Riesenabzahlungs-
geschäft, das in keiner Weise Gewähr für Qualität bietet,
wollen sie aber nicht. Auch der Freund guter Kunst kann
nichts davon halten. Er sieht darin eine der vielen Zeit-
erscheinungen, die auf einem Scheinsozialismus beruhen, und
die hoffentlich nach wenigen Jahren von selbst wieder ver-
schwinden werden.

Degas als Plastiker. Über die Plastiken von Degas
hat Curt Glaser in diesen Blättern schon vor einigen Jahren
ausführlich berichtet (Jahrgang XX, Seite 123 u. ff.). Damals
waren die merkwürdigen und schönen Arbeiten in Zürich
ausgestellt. Jetzt endlich sah man sie auch in Berlin, in
einer vortrefflich gemachten Ausstellung der Galerie A. Flecht-
heim. Es handelt sich um 73 Kleinplastiken. Andere ähn-
liche sind verloren, weil der halbblinde Degas sich kaum
noch dafür interessierte, wenn das Modell fertig war. Nach
diesen 73 Plastiken — Pferde, Tänzerinnen, weibliche Akte —
sind 22 Güsse von Hebrard hergestellt worden, wovon 20 in
den Handel gekommen und größtenteils schon verkauft sind.
Die ganze Reihe soll demnächst auch in den Louvre kommen.
Entscheidend ist die Frage, welchen Anteil Degas selbst an
der Bearbeitung der Bronzen nach dem Guß gehabt hat.
Wie man hört, hat Hebrard ein Exemplar wenigstens der
meisten und wichtigsten (wahrscheinlich nicht der mehr torso-
haften) Plastiken unter den Augen und nach der Angabe von
Degas ziseliert. Diese ersten Exemplare sind im Besitz der
Degas'schen Erben. Nach diesen Modellen hat Hebrard später
dann die übrigen Exemplare bearbeitet. Dieses zu wissen
ist wesentlich, da die Oberfläche bei diesen merkwürdigen
plastischen Arbeiten eines mehr mit dem Tastgefühl als mit
dem Auge arbeitenden Malers sehr wichtig ist. Die Art der
Modellierung ist bestechend. Sie weist auf einen Künstler,
der jede Form, jedes Gelenk auswendig wußte und darum
ganz frei arbeiten konnte. Es ist die sich zurückhaltende
Meisterschaft eines Genies der Körperdarstellung, was diese
Bronzen verführerisch macht. Manches ist vielleicht zu
malerisch, zu sehr im Sinne Rodins, und es hält darum viel-
leicht der Zeit nicht durchaus stand. Im ganzen aber ist
dieses Abenteuer der Plastik, auf das ein großer Maler sich
eingelassen hat, bewunderungswürdig. Man spürte in der
Ausstellung einmal wieder den Atem der heroischen Zeit.

Marcel Vertes. Um so dünner erschienen die Aqua-
relle, Zeichnungen und graphischen Blätter des Franzosen
Marcel Vertes, die bei Fritz Gurlitt in der Friedrich-Ebert-
Straße ausgestellt waren. Es ist ein schwacher Aufguß von
Degas und Lautrec; das beste ist die Geschicklichkeit und
die selbst im Unechten noch echt nachklingende Tradition.

Franz Domscheit. Der Künstler hatte neue Arbeiten
von einer Balkanreise in der Neuen Kunsthandlung aus-

gestellt. Was seinen Bildern früher einen eigenen Reiz gab:
das märchenhaft Epische, das naiv Gegenständliche der Denk-
weise, hat er zugunsten einer geschickten und selbst flotten
Niederschrift von Natureindrücken aufgegeben. Was er so
gewonnen hat, scheint durch das, was aufgeopfert worden
ist, zu teuer bezahlt. K. Sch.

HANNOVER

In Hannover, einer Stadt mit nicht gerade ausgesproche-
nem Kunstwillcn, war der Kunstvereinsgedanke mehr viel-
leicht als in anderen Städten versandet: man hatte den An-
schluß an die Gegenwart verloren. In anderer Weise aber
klammerte man sich zu sehr an etwas sehr Gegenwärtiges,
nämlich an die Not der Zeit. Die von dem Wunsche, mög-
lichst allen Künstlern ohne Qualitätsunterschied Ausstellungs-
und Verkaufsmöglichkeiten zu schaffen, beherrschten Aus-
stellungen boten den Anblick eines traurigen Leichenfeldes,
in dem das sicher vorhandene Gute erstickt wurde. Not-
wendige UmOrganisationen in Vorstand und Jury verhalfen
dann dem Qualitätsprinzip wieder zum Siege. Von der
Frühjahrsausstellung des Hannoverschen Kunstvereins ist hier
die Rede, weil sie zum erstenmal wieder von einem starken
künstlerischen Gewissen geleitet wird. Nachdem lange genug
draußen von der „Kunststadt" Hannover keine Notiz genom-
men wurde, gilt es, die Rehabilitierung in der breitesten
deutschen Öffentlichkeit vorzunehmen.

Das Kunstvereinshaus an der Sophienstraße mit seinen
siebzehn gut belichteten Sälen gibt einen vorzüglichen Rah-
men ab. Ihn mit hochwertigem eigenen Schaffen zu füllen,
war aber eine schwer zu lösende Aufgabe. Da bot sich in
diesem Frühjahr Gelegenheit, sich die große Sonderschau
neuer schweizerischer Kunst in deutschen Galerien zunutze
zu machen. Auf dem Hintergrund dieser vom Westen in-
spirierten, unbeschwert heiteren und hellen Kunstübung bekam
die acht Säle umfassende deutsche Abteilung ein besonderes
Gesicht.

Zwei Toten war größerer Raum gegeben worden; Paula
Modersohn und Lovis Corinth. Von der Worpsweder Künst-
lerin hatte man im wesentlichen kleinere Stücke versammelt,
die ein hannoverscher Bürger kurz vor dem Kriege aus dem
Atelier der Künstlerin erwarb. Neben der unlängst von der
Stadt Hannover erworbenen Walchensee-Landschaft Corinths
und einem etwas gewaltsamen Porträt des Admirals Tirpitz
beherrschte ein klanglich ungemein reizvolles Kinderbildnis
die dem großen Sezessionisten gewidmete Wand.

Eine Aufzählung alles Vorhandenen ist auf dem verfüg-
baren Raum nicht möglich. Es sei nur gesagt, daß Vereins-
arbeit hier wirklich fruchtbar geworden ist, wenn auch der
geschäftliche Gewinn dem künstlerischen nicht entsprechen
mag. Der beharrlichen Erziehung zum guten Kunstwerk
wird sich aber das Publikum auf die Dauer nicht verschließen.
Man halte sich vorerst, wie Goethe, an den „besseren Teil
der Nation, der doch auch nicht klein ist"; man überrumple
nicht, sondern erziehe. Und in solchem Sinne bedeutet die
Hannoversche Ausstellung einen ersten Höhepunkt, von dem
aus weitere Gipfel erklommen werden können.

Kurt Voß.

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