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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 24.1926

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Heft 11
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Hausenstein, Wilhelm: Apollon von Tenea
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https://doi.org/10.11588/diglit.7391#0453

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auch bloß ahnenden Begriff empfing, wurde dies
herrliche Bild vorenthalten. Keiner, der nicht durch-
aus mißleitet war, ging blicklos an der Gestalt vor-
über, die zwischen der überlegenen Starre der
Ägypter und den bürgerlichen Freiheiten der Aegi-
neten aufgestellt ist. Hier beginnt der Ruhm grie-
chischer Kunst. Von diesem Denkmal sprechen,
heißt vertraute Vorstellungen aus der Tiefe der Er-
innerungen, ja des Bluts beschwören. Denn wäre
das Genie des Teneaten uns nicht im Blute wie
ein Beispiel straffer Haltung, sittlicher und leib-
licher Disziplin, die zugleich von mildernder Schön-
heit erwärmt, von kommender Menschlichkeit be-
schienen wird?

Die Welt ist jetzt fast nur noch an das Schiefe,
Krumme, Verbogene und Scheele gewöhnt. Aber
dieser Apollon steht aufrecht: gleichsam seine eigene
Front, sein eigner Aufriß. Er kehrt die Stirn, den
Mund, die Breite der Brust, die straffen Knie ge-
radeaus dem Dasein zu. Er steht nach dem Wort
der Altertumskundigen in reiner „Frontalität".
Wir heute schleichen in übler Haltung am Rand
des Daseins. Er aber, der Teneate, scheint in der
Mitte des Daseins errichtet zu sein: ein Maß-
stab menschlicher Welt, die nach dem Bilde Gottes
geformt ist. Ermißt man, was dies ist? Ermißt
man den Zustand einer Menschheit, die sich unter
dem Segen des Schöpfers in der Mitte des Daseins
weiß ? Alles um diesen Jüngling ist nur noch Um-
kreis. Wo er auftritt, da ist Mitte.

Er hat die Würde dieser Haltung von den
Ägyptern geerbt. Er hat die Würde dieser Haltung
auch verfeinert, und also hat er sie auch sich selbst
gegeben.

Wahrlich ist erlaubt, von der Feinheit dieses
Werkes zu reden. Ja es ist verstattet, von der
Eleganz dieses Bildes zu sprechen. Allerdings bleibt
sie eine bedeutende Eleganz; sie spielt nicht, son-
dern meint sich ernst. Sie ist eine heldische Ele-
ganz. Sie ist eine streitbare Grazie. Sie ist die
Eleganz eines Ritters; sie ist die großartige Grazie
eines Gottes. In dieser Verhältnismäßigkeit also
ist sie spürbar. Doch wiederum bewohnt sie als
bedeutende Feinheit auch jeden Punkt dieses Lei-
bes; als heroische Eleganz und Grazie spannt sie
jede Pore und gleichsam jede Sekunde der stei-
nernen Gestalt des Lebens.

Eleganz ist der Wuchs des Jünglings. Eleganz
ist die edle und menschlich freie Breite seiner Schul-

tern, eine mit Maß gebildete Breite, im Verhältnis
zur eingezogenen Schmalheit der männlichen Hüf-
ten. Adelige Feinheit ist die Bildung seiner Knie:
sie treten nicht, wie die Kniescheiben unedler
Körper ohne Zucht, aus dem Profil der straften
Beine hervor, die zwischen Schritt und Stand ver-
weilen und gleichsam beides sind; sondern die
Scheiben der Knie liegen tief innen, wie es die
echte Schönheit edler Knie ist. Feinheit ist die
gesamte Spannung des Leibes von unten nach
oben und von oben wieder hinab; Feinheit ist die
pfeilgerade Energie der Achse dieses edelsten der
Kadetten; Feinheit ist die Gerade des Auftritts, die
einem niedergehenden Strahl des Lichts vergleich-
bar scheint. Diese „Aufrichtigkeit" — Aufrichtig-
keit so im sittlichen wie im leiblichen Sinne —
scheint aus der Spirale einer Feder ins Gerade
emporgeschnellt; sie schießt auf zu ihrer Höhe —
gleichsam von der Sehne eines Bogens entsandt.
Die Arme liegen an den Flanken; der archaische
Künstler — so mag mit Recht gesagt sein — wagte
nicht, sie loszulösen und zu heben. Aber er würde
sie gar nicht gehoben haben, denn ihre Ange-
schlossenheit ist ein vornehmes Bild. Sie ziemt
dem Ganzen. Der ganze Leib von unten bis
oben und wieder von oben nach unten ist selbst
wie die Feinheit der Arme gebildet, die mehr aus
Unbefangenheit und guter Art ihm entlangliegen
als aus Verlegenheit; der ganze Körper gleicht
einem muskulösen und knappen Arm; er ist ein
schönes Glied am Leib der Menschheit und fast
ein Finger des Schöpfers selbst . . .

Feinheit ist das Gleichheitszeichen, das diesen
Leib Zug um Zug mit sich selbst verbindet. Über-
all ist das Elegante. Es ist im Ausdruck des Ge-
sichts, den man im lessingischen Sinne witzig nen-
nen darf. Es ist in der großgestimmten Sublimi-
tät des Antlitzes, die der empfindlichen Zeichnung
und der gespannten Oberfläche einer mongolischen
Maske gleichkommt. Es ist in der aristokratischen
Knappheit der Lenden; es ist in der archaischen
Ironie der Lippen, die in den Winkeln aufgezogen
sind wie zu einem Lächeln, und in den Backen,
die prall und hoch unter den Augen sitzen, wie
es geistreichen Gesichtern eigentümlich ist. Das
Feine ist in den Gelenken, die zu knistern schei-
nen; es ist in der Erzogenheit, die dem edelsten
Begriff von einem Offizier genugtut; es ist im
Maß der Schwellung seiner Muskeln; es ist in der

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