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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 24.1926

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Heft 11
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Hausenstein, Wilhelm: Apollon von Tenea
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https://doi.org/10.11588/diglit.7391#0455

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jugendlichen Liebenswürdigkeit des Angesichts und
des Entgegenkommens und ist in jener reizenden
Naivität, die neben dem Witzigen des Kopfs und
neben dem freien Auftritt eines schönen Selbst-
bewußtseins unmittelbaren Bestand hat. So fein
ist die ganze Erscheinung, als wäre ihre Oberfläche
über Nadeln gespannt. Sie ist so fein wie die
äußersten Feinheiten gotischer Eleganz (— und
gewissermaßen ist die archaische Zeit der Griechen
eine hellenische Gotik). Fein ist das Spröde,
Knappe, Fettlose der Gestalt — ihr „Secco"; fein
die fast schneidende Schärfe ihrer Bestimmtheit,
die zügelnde Natur ihres Willens; fein ist Gestalt
und Gesinnung. Das Beherrscht-Nervöse der Ge-
stalt, die Intelligenz in jedem Muskel, jeder Sehne,
jedem Gelenk, die Versammlung aller Initiativen,
die diesen Leib und seinen Geist durchspannen —
jede Regung dieses so geistigen als leiblichen Da-
seins wetteifert an Feinheit mit der junkerlichen
Zucht des Epheben und mit dem klugen Maß
athletischer Schulung, mit dem erprobten und be-
sonnenen Maße des Sports.

Dergestalt elegant ist die Figur, daß es darauf
ankam, das Elegante nicht in die Peinlichkeit
bloßer Pointen entarten zu lassen. Es war not-
wendig und dem Hellenen freilich auch selbstver-
ständlich, das Elegante im Großartigen aufzufan-
gen. O wie sehr dies gelang! Keine Feinheit,
die Finesse, die kleinlich wäre. Keine Eleganz ohne
Wucht. Die feine Oberfläche ist mit weiten La-
gen über wenige Punkte der Konstruktion ge-
spannt: Schlüsselbeine, Brust und Rippen, Hüft-
beine, Knie, Schienbeine (die leicht geschwungen
sind) und über die Höhe des Rists. Dies also ist
die ganze Kunst der Figur: mit aller Feinheit ist
sie ins Weite gespannt. Auch besagt die Einfachheit
der ausgespannten Oberfläche nicht, daß die Figur
flach sei. Vielmehr schreitet und steht die Gestalt
mit aller Entschlossenheit aus der vollen Tiefe ihrer
Plastizität und aus der pompejanisch-roten Nische
hervor. Ja alles einzelne stimmt mit dem weiten
Plan der feinen Figur überein. Das Haar ist nach
der Weise des ägyptischen Haarpflegers kosmetisch
geordnet. Der Hals ist stark. Die Augen sind
nicht als ein Besonderes ins Seelische zurückge-
drängt; sie vereinzeln sich nicht in einer kaum
mehr körperlichen Tiefe; klar vorgewölbt liegen
sie, Form auch sie, wie der ganze Körper Wesen
ist, in der konvexen Linie des Profils. Wie konnte

es anders sein? Es bedurfte nicht einer eigentüm-
lichen und gar psychologischen Ausbildung des
blickenden Auges, da doch der ganze Leib von
Geist elektrisch, von Seele lebendig ist . . .

Es ist Mittag — und es ereignet sich Merk-
würdiges, Erschreckendes. Durch die runde Luke
der Kuppel fällt ein Strahl der Sonne des Grün-
donnerstags auf den antiken Gott, der ein sterb-
licher Jüngling ist. Der Schein fällt auf das Haar,
das hinter der linken Wange niederrollt. Bald fällt
er auf die Wange selbst, nun auf den Scheitel,
auf die Nase, auf das Kinn; ein Schlagschatten
vom Kinn liegt auf der Säule des Halses gleich
einem Pharaonenbart. Jetzt gleitet der Strahl zur
rechten Wange und schon zu den Wülsten der
Frisur auf der rechten Seite. Dies ist das Spiel
von vier oder fünf Minuten. So schnell dreht sich
die Welt . . . Nun ist wieder gleichmäßige Helle
— ein wenig graue zuerst, dann Helle ohne Partei.
Der Marmor der Figur nimmt gänzlich die vorige
Farbe zurück; er steht wieder rosig wie berauchter
Meerschaum, gelblich wie Elfenbein, ja fast wie
Bernstein, zuweilen auch wie eine Ahnung des
rötlichen Brauns der Terrakotta. Es ist die Farbe
der naiven Gesundheit, und sie macht eine bezau-
bernde Harmonie ihrer unterschiedlichen Fein-
heiten.

Was war dies? Ein Gruß der Passionszeit an
den antiken Gott, der keine Leiden kennt und
keine Kreuze ahnt? Weihe des christlichen Him-
mels auf dem Erbe der Antike, das uns geblieben
ist? Eine innige, zärtliche, eine metaphysische
Auszeichnung des Hauptes — dennoch also nur
des Hauptes? Die Sonne kam, wie Christus nach
der Antike gekommen ist. Wahr ist, daß Apollon
aus Tenea nie so schön war, wie in diesem Augen-
blick, der seinem heidnischen Kopf die höhere
Schönheit der Aura schenkte. Es war schier un-
möglich, nicht zu weinen. Denn der Schönheit
des Teneaten, die so ganz schien, so vollkommen,
wurde nun noch die Schönheit des Rührenden ge-
schenkt, hinzu zum Feinen, hinzu zum Großen —
die Schönheit des Rührenden, welche die höchste
Schönheit ist. Zwar bricht sie die Einheit des
Leiblichen, ja die Einheit des Geistes, der aus
dem Leib gelassen schimmert; allein was tut dies,
wenn nun ein Punkt gesichtet ist, der noch über
der Höhe des Scheitels der aufrechten Griechen
liegt?

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