GEORGES BRAQUE, DER KAMIN
INTERNATIONALE KUNSTAUSSTELLUNG DRESDEN
scheinungen sind, die es gerecht schien, in den Vordergrund
zu rücken. Vor vierzehn Jahren waren in Köln auf der Sonder-
bundausstellung, die allen, die sie sahen, noch in lebendiger
Erinnerung steht, Cezanne, Van Gogh und Münch als die
Träger einer neuen Bewegung gezeigt worden, die als ein
starker Strom überall sich Bahn zu brechen schien. In Dres-
den findet man die Namen der gleichen Führer, und noch
immer sind die Alten siegreich gegen die Jungen. Münch,
dessen Bilder den größten Saal der Ausstellung beherrschen,
überstrahlt gewaltig alles, was in seine Nähe sich wagt. Es
ist erstaunlich, wie unproblematisch Bilder heut wirken, die
einstmals hart umstritten waren, wie nichts mehr als die freie
Meisterschaft eines großen Künstlers in die Erscheinung tritt.
So wird Münch, der mit zehn gewichtigen Schöpfungen
reicher als die meisten sonst vertreten ist, zum zentralen Er-
lebnis dieser Ausstellung, der Münch, der vor fünfundzwanzig
Jahren das Schlittgenporträt und die Kinder Dr. Lindes malte,
wie der Schöpfer der großen Komposition, die „Das Leben"
heißt, und der heutige Münch, der breite Flächen starker
Farben wunderbar meistert.
Es mag ungerecht sein, Werke, die in der Zeit uns näher
stehen, mit Meisterschöpfungen zu vergleichen, die sich in
Jahrzehnten bewährt haben. Aber wie weit bleiben auch die
älteren Bilder eines Hodler neben Münch, eines Picasso
neben Manet oder Renoir zurück. Darf man es sagen, daß
die fünf Frauengestalten von Hodlers „Heiliger Stunde" heut
völlig erstarrt sind in ihrer künstlichen Pose, daß Picassos
vielgerühmte blaue Bilder nach falschem Sentiment schmecken?
Man versteht es, daß der Maler dieser weichlich verblasenen
Bilder den Ausweg der harten kubistischen Konstruktion
suchte. Aber beweglicher Geist ersetzt nicht unmittelbar reine
Empfindung. Es mag an einer bestimmten Stelle von Nutzen
gewesen sein, zu zeigen, bis zu welchem Grade man die
Form zu biegen imstande sei, wie die Neoimpressionisten
einmal demonstriert hatten, daß man die Farben brechen
kann, aber die Bilder, die dafür dienten, waren verurteilt,
im Experiment stecken zu bleiben, ihnen fehlt jene selbst-
verständliche Freiheit, die unerläßliche Voraussetzung der
Meisterschöpfung ist.
Problemmalerei ist das Schlagwort, unter dem die Mode-
strömungen zusammengefaßt werden können, die den Kubis-
mus ablösen und begleiten. Auch Moden haben ihre Not-
wendigkeiten, befriedigen Wünsche und Forderungen ihrer
Stunde, aber es ist ihr Schicksal, rasch zu altern. Wer ver-
mag heut noch, ohne zu lächeln, Severinis „Bai Tabarin"
zu sehen, das vor fünfzehn Jahren gemalt worden ist? Aber
auch ein solches Bild hatte einstmals einen Aktualitätswert,
wie heut die konstruktivistischen Versuche von Mondrian,
Lissitzky und Moholy ihre Bedeutung haben. Man mag
zögern, als Bilder anzuerkennen, was diese Maler mit Far-
ben auf Leinwand erzeugen, aber es ist keine Frage, daß
diese neue Form der Flächenorganisation ebenso in engem
Zusammenhang steht mit heutigen Bestrebungen der Archi-
tektur, wie sie wegweisend geworden ist für die dekora-
tiven Künste.
Die Gegensätze berühren sich. Merkwürdig, wie nahe die
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INTERNATIONALE KUNSTAUSSTELLUNG DRESDEN
scheinungen sind, die es gerecht schien, in den Vordergrund
zu rücken. Vor vierzehn Jahren waren in Köln auf der Sonder-
bundausstellung, die allen, die sie sahen, noch in lebendiger
Erinnerung steht, Cezanne, Van Gogh und Münch als die
Träger einer neuen Bewegung gezeigt worden, die als ein
starker Strom überall sich Bahn zu brechen schien. In Dres-
den findet man die Namen der gleichen Führer, und noch
immer sind die Alten siegreich gegen die Jungen. Münch,
dessen Bilder den größten Saal der Ausstellung beherrschen,
überstrahlt gewaltig alles, was in seine Nähe sich wagt. Es
ist erstaunlich, wie unproblematisch Bilder heut wirken, die
einstmals hart umstritten waren, wie nichts mehr als die freie
Meisterschaft eines großen Künstlers in die Erscheinung tritt.
So wird Münch, der mit zehn gewichtigen Schöpfungen
reicher als die meisten sonst vertreten ist, zum zentralen Er-
lebnis dieser Ausstellung, der Münch, der vor fünfundzwanzig
Jahren das Schlittgenporträt und die Kinder Dr. Lindes malte,
wie der Schöpfer der großen Komposition, die „Das Leben"
heißt, und der heutige Münch, der breite Flächen starker
Farben wunderbar meistert.
Es mag ungerecht sein, Werke, die in der Zeit uns näher
stehen, mit Meisterschöpfungen zu vergleichen, die sich in
Jahrzehnten bewährt haben. Aber wie weit bleiben auch die
älteren Bilder eines Hodler neben Münch, eines Picasso
neben Manet oder Renoir zurück. Darf man es sagen, daß
die fünf Frauengestalten von Hodlers „Heiliger Stunde" heut
völlig erstarrt sind in ihrer künstlichen Pose, daß Picassos
vielgerühmte blaue Bilder nach falschem Sentiment schmecken?
Man versteht es, daß der Maler dieser weichlich verblasenen
Bilder den Ausweg der harten kubistischen Konstruktion
suchte. Aber beweglicher Geist ersetzt nicht unmittelbar reine
Empfindung. Es mag an einer bestimmten Stelle von Nutzen
gewesen sein, zu zeigen, bis zu welchem Grade man die
Form zu biegen imstande sei, wie die Neoimpressionisten
einmal demonstriert hatten, daß man die Farben brechen
kann, aber die Bilder, die dafür dienten, waren verurteilt,
im Experiment stecken zu bleiben, ihnen fehlt jene selbst-
verständliche Freiheit, die unerläßliche Voraussetzung der
Meisterschöpfung ist.
Problemmalerei ist das Schlagwort, unter dem die Mode-
strömungen zusammengefaßt werden können, die den Kubis-
mus ablösen und begleiten. Auch Moden haben ihre Not-
wendigkeiten, befriedigen Wünsche und Forderungen ihrer
Stunde, aber es ist ihr Schicksal, rasch zu altern. Wer ver-
mag heut noch, ohne zu lächeln, Severinis „Bai Tabarin"
zu sehen, das vor fünfzehn Jahren gemalt worden ist? Aber
auch ein solches Bild hatte einstmals einen Aktualitätswert,
wie heut die konstruktivistischen Versuche von Mondrian,
Lissitzky und Moholy ihre Bedeutung haben. Man mag
zögern, als Bilder anzuerkennen, was diese Maler mit Far-
ben auf Leinwand erzeugen, aber es ist keine Frage, daß
diese neue Form der Flächenorganisation ebenso in engem
Zusammenhang steht mit heutigen Bestrebungen der Archi-
tektur, wie sie wegweisend geworden ist für die dekora-
tiven Künste.
Die Gegensätze berühren sich. Merkwürdig, wie nahe die
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