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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — 20.1885

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Vom Christmarkt
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https://doi.org/10.11588/diglit.5807#0066

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119

Vom Christmarkt.

120

mit Titelkilpfen und Schlußvignetten zu zicren wagte.
Ilnd dieser Hinweis war nicht unberechtigt. Der Holz-
schnitt läßt nichtnur die Gabe der Erfindung zn einer Ent-
faltnng gelangcn, wie außer ihm nur noch der Kupfer-
stich, er giebt auch die Eigenart des Künstlers auf das
treueste wiedcr, und bei der Menge der Mitwirken-
den konnte anch nicht annähernd von einer Gleich-
heit an Wert und Manier die Rede sein. Wie sollte
indes Einer allen Stinunungen des Dichters gerecht
werden? Die lyrische Poesie Goethe's aber ganz ohne
Bilderschmuck lassen, das hieße dem Holzschnitt sein
gutes Recht verkümmern: denn gerade in den tieferen
Regionen des Geistes und Gemütes hebt das eigent-
licheGebietdie-
ser Technik an.

Damit ist nicht
gcsagt, daß je-
des Gedicht il-
lustrirt werden
kbnne n. müsie.

Jedes der übri-
gen Werke ist
inunsererAus-
gabe durchgän-
gig von nur
einer Künstler-
handgeschmückt
wordcn. Jn
dem während
diescs Jahrcs
erschienenen
dritten und

vierten Bande Jllustrati°nspr°b° a»s G°°lh°.

gebührt ohne

Zweifel den Zeichnungen C. Kargers zu „Clavigo" die
Krone; in ihnen pulsirt wahrhaft dramatisches und dich-
terisches Leben, und die anmutige Gestalt Clavigo's, des
Weislingen der Tragödie, des halb großen, halb kleinen
Menschen, wie ihn Goethe nennt, und der Krauskopf
Carlos mit seiner Stumpfnase und den energischen
Gesichtszügen treten mit srappanter Anschaulichkeit vor
das Auge. 3n den „Leiden des jungen Werther" hat
der Künstler, E. Bosch, das Porträt von Charlotte
Kcstncr und Goethe's Silhouette geschickt verwertet;
der Dichter sandte sie ihr cinst mit der Widniung:

„So, liebe Lotte, heißt's auch hier:

Jch schicke meinen Schatten Dir!

Magst ivohl die lange Nase sehn,

Der Stirne Drang, der Lippe Flehn,

Es ist ohngesähr das „garst'ge Gesicht",

Aber meine Liebe siehst Du nicht!"

Einen änßerst feinsinnigen Jnterpreten haben „Die
Wahlvcrwandtschaften" in P. Grotjohann gcsnnden.

Jn der innig ergreifenden Dichtung übt vor allem das
Bild Ottiliens mit den großen dunkeln Augen und der
„seelenhaften" Schvnheit, die ihr Goethc von Minna
Herzlieb geliehen, von neuem seinen bestrickcnden Zau-
ber auf uns aus. Die Freundlichkeit der Verlags-
anstalt setzt uns in den Stand, einige charakteristische
Zeichuungen von Karger nnd Grotjohanu unscrer Be-
sprechung einzufügen. Zwischen jenen Dichtungen neh-
men „Wilhelm Meisters Lehrjahre" und „Die Wander-
jahre" den breitesten Raum ein. Sie sind mit beinahe
zweihundert Jllustrationen bedacht, und mancher
schlimme Ketzer wird, von Erdmann Wagners und
Max Volkharts Künstlerhand geleitet, reumütig die

Lektüre wieder
aufnehmen, die
er einst iiber
wenigerGutcm
nnvollendet ge-
lasien. Wiraber
besolgenLenar-
do's ermun-
ternde Bari-
ante „Gedenke
zu wandern"
und wechseln
die Scene.

Jtalien sei
dieLosung!Uns
isl's freilich gar
beguem ge-
macht, den
Durst nach

wahrer Kunst
zu stillen. Goe-
the'n blieb einst nichts anderes übrig, als „Post-
pferde zu bestellcn, nm im hesperischen Wunderlande,
der Sehnsucht seiner Tage, dem Traume seiner Nächte,
sich und das Gvtterbild in seincr Seele zu retten" und
auf klassischem Boden das volle Verständnis der bilden-
den Kunst sich zu erwerben. Wir aber schöpfen Ge-
nuß und Belehrung aus Jtaliens reichen Kunst-
schätzen") in Stundeu weihevoller Muße, ohne den
Fuß über die heimische Schwelle zu setzen. Aus der
fast unabsehbaren Fülle des Materials hat Carl von
Lützow, der Herausgeber dieser Zeitschrist, mit sicherem
Griffe für jede der italicnischen Provinzen das Charak-
teristische erfaßt nnd zu einem monumentalen Gcsamt-
bilde gesügt. Soeben sind die beiden letzten Hefte,

S Weiken iDeiilsche VerlogSLNstall).

*) Carl von Lützow, Die Kunstschätze Jtaliens in
geographisch-historischer ilbersicht geschildert. Stuttgart, Ver-
lag von I. Engelhorn. 30 Lieff. ü 3 Mark, in Prachtein-
band 100 Mk.
 
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