Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — 20.1885

DOI Artikel:
Voss, Georg: Die Kunst auf der Antwerpener Weltausstellung, [2]
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.5807#0291

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
569

Tie Kunst auf der Antwerpener Weltausstellung.

570

an Zahl und Leistungskraft geringere, sucht stets an
ihreu Altmeister Rcmbrandt anzuknüpsen und desscn
l§fsckte im Zwielicht und seine glühenden Farben neben
tiefen Schatten nachzuahmen. Blindlings solgt man
ihm indessen auch in seiner eigentümlichen Schwäche, ja
selbst in der gelegenllichen Häßlichkeit seinerModellirung
der uackten Frauenkörper. Was man bei der Farben-
schönheit dcr Rembrandlschen Fleischtöne leickck vergißt,
tritt in der modernen Nachtrelerei um so greller her-
vor. Am ungenießbarsten ist hier in dieser Beziehung
F- I. Janscns grvßes Gcmäldc: „Das Erwachen".
Gine in Lebensgröße gezeichncte, nackte, alte, sette Frau,
die dem Königreich der vereinigten Niederlande viel-
leicht schon manchen wackercn Soldatcn geschenkt hat,
rcckt gähnend ihrc Arme in die Lust. Dies der ganze
2nhalt des Gcmäldes, und dicse Frau ist mit ciner
lvahrhast widerlichen Treue in der Nachahmung aller
Zusälligkeiten eincs häßlichen, vcrblühtcn Körpers gc-
malt. Ähnlichc Züge lassen sich hier sogar in der
holländischen Bildhanerkunst versolgen. Daß dieselben
bort, wo unser Auge docki am liebsten den Schönheits-
kanon der griechischen Figuren zum Maßstabe ninimt,
um so .cmpfindlichcr wirken, liegt aus der Hand. Die
Stärke der holländischen Maler liegt außer der Land-
schast im ländlichcn Gcnrebilde. Die bekannten Meister
Jsraels unv Bischvp sind auch dieSmal mit recht
guten Arbeiten dieser Art erschienen.

Die mvdcrnstc belgische Malerci hat sich vvn der
Grinncrung an die großen Meister der vlämischen
Städte gänzlich losgesagt und unter der Führung dcr
sranzösischen Schule einen ivescntlich intcrnationalen
Zug angenommen. Ausgenommen davon sind, wie
>ch schon oben bemerkle, nur ein Teil der Landschafter.
Cvllart z. B. malt in seinen hier ausgestelltcn Bil-
dern in dem leicht hingehauchten Duft eines Gold-
tones, der direkt an die Landschaften eines 2an van
Goyen, Albcrt Cnvp oder David Tenicrs erinncrt.
Andere indessen, ich nenne nur den überall im Kunst-
handel bekannten und hier mit etwa zehn prächtigen
Tafeln vertretcnen P. I. Clays, gehcn indesscn ihre
cigcnen Wege und wisscn in dem wechselnden Spiel
der Wellen und Wvlken durchaus ncnbeobachtete
Schvnheiten zu lesen, deren künstlerische Gestaltung als
ihr eigenstes Bcrdicnst bezeichnet werdcn kann. Auch
in der Genremalerei, der die Hanptmaffc der belgischen
Knnstproduktion angehört, ist dic in den letztcn Jahr-
zehnten von Hendrik Leys noch einmal ins Leben
znrückgerufcne Darstellung ländlicher Scencn im Kostüm
der vergangenen Jahrhunderte wieder aufgegeben. Die
eine Hälste der Genrenialer stcllt ihre Stvffe genau
in derselben rücksichtslvsen Naturwahrheit, aber auch
in der nämlichen pvbelhaften Roheit dar, die sic an
ihren Lieblingsmeistern in Paris kennen gelernt habcn.

Dic andere HLlfte übersetzt das wirkliche Leben in die
poetischc Slimmung der Dorfgeschichte und malt ihre
Stvffe im Sinne unserer Düsseldorfer Meister. Aus den
älteren Malern klingen uns vornehmlich die Borbilder
eines Bautier und Jordan, aus den jüngeren mehr die
von Ludwig Knaus entgegen. Die glücklichslen Vertreter
nach dieser Richtung hin sind entschieden Heyermans,
der das Leben selbst entkleidet von allem, was das
Dasein schmückt, voller Sonnenschein nnd Scelcn-
srieden malt; fcrner Henri Bvurce, der überall einen
elegischen Ton anschlägt, eine Richtung, in der ihm
auch der sonst in seiner Technik anf ganz anderem
Boden stehende A. Bourvtte ähnelt. Auf besonderem
Boden steht der bekanntc Maler cincr kvkettcn, elc-
ganten Damenwelt, Alfred Stevens, welcher hier
über cin Dutzend sciner mcisterlich vvllendctcn Arbeitcn
ausgestellt hat.

DaS grvße Kostümbild zeigt sich als dic schwächstc
Scite dcr bclgischcn Malerci. N. dc Keyscr zeigt
»iit einer riescnhafteii Leinivand, „Prozessivn in Se-
villa", wic schr er seitab von den Errungcnschaftcn
dcr Malerei der lctzten Jahrzehnte gebliebcn ist. Einer
der thätigstcn Historienmaler ist der vielseitige Charlcs
Berlat, der auf der Ausstellung namentlich mit zwei
großen Bildern aus der heiligen Geschichte erschienen
ist. Das einc, ein Looo 8omc>, eine Frucht seiner
Rcise nach dem Orient, deren künstlerische Ergebnisse
jctzt hier in einem großen Prachtwerk herausgegeben
iverden, zeigt in wahrhaft crschreckender Weise das Be-
slreben, in die Darstellung der hciligcn Stvffe denselbcn
Schmutz und dieselbe Gemeinheit zu tragen, die cr
nnr irgendwie in dcm verrufcnsten Winkcl einer mv-
dernen Großstadt sinden konnte. Das andere, eine
Krcuzigung, zeigt dcn Opfertod Christi zur brutalen
Schlächterscene hcrabgeivürdigt. Das historischc Staffel-
bild hat hicr in Hendrik Schacsels mit zwei Dar-
stellungeii aus dcr Schlacht bei Trafalgar, dic cine der
Tvd NelsonS, cincn rccht tüchtigen Bcrtrctcr gefunden.

Die französische Künst ist in Antiverpen nächst der
bclgischen am reichhaltigsten crschicnen. Dcr französische
Katalvg — nebcnbci bcmerkt der einzigc bis jetzt in
der gesamten Kunstausstellung — weist 681 Nummern
aus. Einc wesentliche Förderung hat die französische
Abteilung durch die dicgicrung crhalten, indcm dieselbe
ganze Reihen von Statuen und Gemülden aus öffent-
lichcm Bcsitze für die Ausstellnng zur Vcrfügung ge-
stcllt hat. Ein besonders intcreffanter Teil dieser
Abtcilung verspricht auch die von dcr französischen
Rcgiernng vcranstaltete Ausstellnng von arckntektoni-
schen Aufnahmen aus den Archiven der Oammission
ckes monumonts kiistoiigues zn wcrden. Jeder der
dic sür die Architckturgeschichte des sranzösischen Mi'ttel-
altcrs so wichtige Thätigkcit dieser Koiiiinissivn vcr-
 
Annotationen