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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — 20.1885

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Die Wiederherstellung der Kirche St. Gereon
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https://doi.org/10.11588/diglit.5807#0346

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679

Die Wiederherstellung der Kirche St. Gereon.

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hörten ciber auf, als das „Gotische" zur Herrschast
gelangte, ein Beweis, daß eiu wesentlicher Tcil der da-
maligen Bauleitung minder gebildeten und darum rück-
sichtsloseren Leuten anvertraut war. Um jene Zeit, !
nämlich in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts,
zerstvrte man die vorhandcnen rundbogigen Fenster in
diesen römischen Chören nnd setzte ganz vernunftwidrig
„gotische" ein, die einen widersinnigenEindrnck machen.
Nvch abstoßcnder wirken die kolvssalen gotischen Fen-
ster in dem uördlichen romanischen Langschiff. Sie zer-
reißen förmlich das schöne Gesamtwerk. Die miß-
handelten ehemaligen Rundbogen und Pfeiler aus zwci
Zeitabschnitten, wovon jedenfalls der letzte geschont
werden mußte, zeigen sich wie stumme Ankläger dem
Vorübergehenden.

Unfaßbar ist es ferner, daß bei der letzten Her-
stellung dieser das Auge beleidigende Widersinn nicht
schonungslos beseitigt und die alten in ihren Resten
noch vorhandenen romanischen Fensteröffnungen wieder
hergestellt wurden; dann wäre auch der plumpe störende
Stützpfeiler weggefallen, der zum großen Teile aus
Basaltklötzen besteht, die nunmehr um einige Zoll her-
vorstehen, weil seine Tuffsteinteile in der bekannten
strafbaren Weise abgearbeitet wurden.

Vor dieser Wiederherstellung wurde das Auge gar
nicht behelligt durch die ruinenhafte Lücke eines ehe-
maligen daneben befindlichen Treppenturmes; nachdem
man aber das noch sichtbare Jnnere glatt verblendete,
ebenso auch die Mauerränder der Ruine, macht dies
nun gewissermaßen architektonisch sein Sollende einen
äußerst thörichten Eindruck.

Ganz aus der Rolle fallend ist auch die neueste
Verwendung von großen Hausteinstücken an dem alten
einfachen Fenstermaßwerk des Zehnecks, während die
nrsprünglichcn Teile sämtlich von Tuffstein in der üb-
lichen Form hergestellt sind. Wir sehcn, daß ,jedes
Verlassen des ursprünglichen Werkes, jede unberufene
Änderung bei Herstellungsarbeiten stets die schlimmsten
Folgen nach sich ziehen.

Treten wir nunmehr in das Jnnere des wirklich
erhabenen Gotteshauses ') nnd sehen nns die heutige
Ausstattung an, so haben wir zunächst die Empsindung,
daß diese schon jctzt die Architcktnr beherrscht, statt ihr
zu dienen, und es ist dies um so mehr zu verwundern,
da die Leitung in der Hand eines Bauknndigcn beruht.

Sonst, das heißt in der vorangegangenen Weise
der Ausstattung, macht dcr Kuppelban, trotz einiger,
aber ganz untcrgeordneter stilistischer Schnitzer, vor

I) Als höchst beklagenswert müssen wir die übereilte
Zerstörung des kostbaren Hochaltars beklagen. Er bildete
den schönen Mittelpunkt des Mtarcyklus in den römischen
Chören. Der heutige macht deu Eindruck einer Tischplatte,
morauf die celebrirende Geistlichkeit sich bewegt.

allem den Eindruck der Großartigkeit. Die Wappen-
farbe des Lanetns priMaiius, des heil. Gercon, gold
nnd blau, war folgerichtig vorherrschend, ebenso, aber
im minderen Sinne die des Lanetns seounckarins, die
des heil. Gregorius Manrus in Schwarz und Gold.
Windungen von Lorbeerzweigen sind hier und da ge-
schmackvoll angebracht, und man sah die Schildeszeichen
der beiden Ansührer St. Gereon und Gregorius Mau-
rus, abwechselnd mit gekreuzten Palmen. Sodann in
bescheidener Weise traten hier und da die Wappen der
Donatoren aus, aber alles zusammen machte einen
harmonischen Eindruck und unterstützte in der Haupt-
sache die Architektur, statl ihr zu schaden. Und jetzt!
Wer Sinn und Herz sür diese öffentlichen Denkmäler
hegt, die so viele Jahrhunderte den höchsten Schmuck
unserer Stadt bilden, gehe hin und sehe mit eigenen
Augen, wie diese Verschönerung vor sich geht.

Zum ersten erscheinen Gestalten in den Gewölbe-
kappen fast doppelt so groß, als sie sein'dürsten; sie be-
wirken dadurch, wie bekannt, eine Höhenverminderung
und es nutzt nichts, daß dieselben in grauer, anspruchs-
loser Farbe hergestellt sind.

Dieser Farbe gegenüber erscheinen durchaus archi-
tekturfeindlich die zunächst stehenden Säulen quer dnrch-
schnitten, .halb grellrot, halb pechschwarz mit kauui
sichtbaren Unterbrechungen, während die bisherigen blau
und golden, in den Farben des Kirchenpatrons ge-
schlängelt, mäßig gehalten nnd die Scitensäulen durch
seine Lorbeerzweige vor der Eintönigkeit der Farbe ge-
schützt, heute noch sichtbar sind. Der riesige Knanf,
da, wo sonst der Gewölbeschlußstein zu sitzen pftegt,
zieht ebenfalls durch seine maßlose Gestalt die Wöl-
bung herab.

Gehen wir nun zu der brennendsten Frage llber,
die hier vorliegt: Wie muß sich das Figuralische zu
der Architektur verhalten? Es soll den hervorragend-
sten Schmuck, gewiffermaßen den Edelstein des Bau-
werkes bilden. Nnr die Höhe oder die Entsernung vom
Beschaner ans bestimmt den bedeutenderen oder gcrin-
geren Grad der Ausführung. Eine mindere Vollendung
schließt aber keineswegs eine talentlosere Auffassung
oder eine Gestalt vvll der gröbsten Fehler als zulässig
ein, ebensowenig wie solche Berstöße durch den Stil
entschuldigt werden können. Denn die Redensart:
„wie die Alten es gemacht haben würden", ist durch-
aus hinsällig, bei den „Alten" gab es ebenso viele Leute
von verschiedener Begabung wie bci den „Neuen".
Wenn man sich also Musterbilder aus irgend einer
Zeit zu wählen hat, so muß man pflichtgemäß nur die
besten ius Auge faffen, nnd das sind für den vor-
liegenden Fall die bedentsamen Skulpturen in den
sächsischen Landesteilen, besonders von Wechselbnrg,
nnd manche andere romanische Vorbilder, die wir aus
 
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