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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 43,1.1929-1930

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Heft 1 (Oktoberheft 1929)
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Esswein, Hermann: Der Reiter auf der Chimäre: ein Wort zur Kunst Alfred Kubins
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Michel, Wilhelm: Die eigene und die fremde Meinung: über das Zusammenleben von Menschen und Überzeugungen
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https://doi.org/10.11588/diglit.8887#0069

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lich auch die Differenzierungs- und Abbauerfcheinungen der nakurwirklichen
Gestalt nie bewußk gehandhabkes Stilprinzip. Seinem frühen Symbolismus
des Gegenständlichen ist nie ein gewollter, gewaltsamer, programmakifch ab-
ftrahierender Symbolismus der Formgebung gefolgk. Er hat die Welt seiner
frühen isolierk hervorgehobenen Gesichke zum figurenreichen, erfcheinungen-
wimmelnden Blakk erweikerk und er ist später wieder aus dieser erkensiven
Mannigfaltigkeik zu straffen, ofk stark ornamenkalen Zusammenfassungen
bedeutsam isolierker Formenkomplere zurückgekehrt. Er hak uns die Welk
erfchlosseu als einem hieroglyphifch anziehenden orbis pictu8, indem cr ihre
in den Jahren der akademifchen Schönheiksnorm und des Nakuralismus
trivial gewordenen Erfcheinungen dem Willensspicl seines Gemükes, seiner
Ncrven unkerwarf, sie zerbeulke, zerreckke, zerfaserke, ofk wie man Lumpen
und Abfälle zerpflückk und zerfaserk, damik aus ihnen wieder neue und gnke
Makerie werde, oder wie das Leben mik uns selber verfährk bei allen we-
senklichen Wandlungen, — und vielleichk am enkfchiedensten der Tod bei
der Wandlungen wesenklichster. Er hak dann aber auch die von Nvk und
Qual zerfchrokene und zerfressene Erdenform mik feiner pfleglicher Werk-
mannshand zark emporgehoben in ein magifches Lichk, hak das Gemeine,
alleu Gcmeine wundersam geheiligk und vermag heuke in all dem Gassenlärm
wieder ebenso still und groß zu sein wie einer der alken Bildfchnitzer oder
Holzfchneider.

Manche, die verfchiedensten zeikgebundenen Formungskendenzen, hak Kubin
naiv in seinen Dienst gezwungen, Überdehnungen und Konkrakkionen der
Form, Brechungen des Raumcs, Lichtgänge und Schakkenlagen, auf deren
Einkrikkskermin in die neueste Kunstgefchichke man den Finger legen könnke,
und nicht anders hob er viel an älterem Formenguk wandelnd ins Lichk der
eigenen Seele, die der Allseele zu nahe ist, eine der eigensinnigen Skilspeziali-
täten des überheblichen klcinen Ich zu kultivieren. Daher die Llnfchlüssigkeik
jeder mik Kubin befaßken Skilkrikik, daher ihre Berlegenheik dieser flukkuieren-
den Mannigfaltigkeik der Formungstendenzen gegenüber. Sie ist keine Ver-
legenhcik der Erkennknis, wohl aber der Formulierung. Für jede Schaffens-
zeik, für jedes Blakk lasscn sich die singulären Kennzeichen deskriptiv und deu-
kend aufweisen, aber noch fehlen uns vor diesem ebenso Hingegebenen als
Selbstfchöpferifchen die allgemein anerkannken Kakegorien, in die sie einzu-
ordnen wären.

Die eigene und die fremde Meinung

llber das Zusammenleben von Menschen und Überzeugungen

Bon Wilhelm Michel

^V^f^orauf begründet Lessings Ringfabel (im „Nathan") die Pflichk zur
Toleranz?

LeHken Endcs darauf, daß alle drei Ringe höchst wahrfcheinlich salfch sind.
Können wir heuke Toleranz (— Duldung anderen Denkens, anderen Meinens
und Glaubens) noch in gleicher Wcise bcgründen?

Nein. Wir müssen sie darauf begründen, daß alle drei Ringe in cinem
höheren Sinne „echk" sind.

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