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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 43,1.1929-1930

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Heft 6 (März 1930)
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Berrsche, Alexander: Der § 193 im Münchner Kritikerprozeß
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Umschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.8887#0461

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schcn Teil, versteht sich!) cin pvlemischer Ton herrscht, uin den unL die Hottentotlen
beneiden, eine KampfeStveise, in der zugehauen und drauflvsgeholzt wird wie beim
Kasperltheater (wobei zum schamlosen Schluß immer ein Jude den anderen einen
Juden nennt), so wissen die meistcn deutschen Leser nicht, daß es derlei nur in
Deutschland und Österreich gibt und sonst nlrgends auf der Welt, und daß an
dlesen barbarischen Verhältnissen der ungenugende staatliche Ehrcnschutz die Haupt-
schuld trägt. Der kampferprobte Iournalist an der Donau und an der Spree
sagt sich: ,'ch kann meincn Gegner, der mich beleidigt hat, m'cht verklagen, denn
er wahrt berechtigte Jnteressen; aber wenn ich ihn morgen durch die Blume fur
einen bestochenen Hund erkläre, kann er mich auch nicht verklagen, da ja auch ich
meine berechtigten Interesscn wahren darf. — Das sind die Ehrbegriffe subalterner
Völker, die schon vor dcr äußeren Niederlage innerlich Besiegte waren, und die sich
heute darüber wundern, warum England mik dem sogenannten Duellunfug leichter
und rafcher fertig geworden ist als wir.

Man versteht das Münchner blrteil erst richtig, wenn man seine symptomatische
Seite sieht, wenn man sich klar macht, daß nach der jahrelangen Praris unserer
obersten Gerichtshöfe der Spruch des Münchncr Einzelrichters keineswegö über-
raschen konnte. Nicht um dieses einzelne llrteil geht es, sondern um die traditionelle
Begriffsverwirrung, deren zufällige ErscheinungSform das Urteil gewesen ist.

Alexander Bcrrsche

Umschau

Eine neue Goethe-Ausgabe^

(7<>n den Iahren vor dem Weltkrieg gab
^IeS nicht leicht cinen sogenannten „bes-
seren" HauShalt bei uns, in welchem
die „Klassiker" fehlten. Gewöhnlich wa-
ren eS ihrer freilich nur drei: Goethe,
Schiller und Theodor Körner. Einband
und Papier waren meistenS abscheulich,
Auswahl und Gestaltung der Texke völ-
lig ruchlos und der Druck augenmor-
dend. Niemand laS darin, und mit
Recht. Es waren AuSgaben, die den
Herstcller möglichst billig kommen muß-
ten, und er durfte bei feiner Kalkula-
tion mit gutem Fug nicht mit Lesern,
sondern nur mit Besitzern von Goethes
usw. Werken rechnen. Inzwischen ist eS
mit uns aber dahin gekommen, daß nicht
einmal mehr der Besitz von solchen
Schriften etwas gilt, obwohl gerade in
den lehten zwanzig Jahren gut auSge-
stattete und redlich besorgte Auswahlen
und AuSgaben zur Genüge erschienen
sind. Die Verkaufsstatistiken, die nach
dem Weihnachtsgeschäft als dem Haupt-
geschäft des deutschen Buchhandels hier

* GoetheS Werke, FestauSgabe zum 100-
jährigen Bestchen des Bibliographißhen
Instituts Leipzig, herausgcgeben von Robert
Petsch.

-so6

und da bekannt wurden, haben in dieser
Hi'nsicht die bemcrkcnswertesten Ergeb-
nisse gezeigt. Beispielsweise ist in einer
großen Stadt, dem Sitz bedeutenderBe-
hörden, mehrerer Stadien, Boxhallen,
Windhundrennbahnen und Nacktkultur-
logen, nicht eine einzige AuSgabe von
GoethcS Werken an den Mann ge-
bracht worden, auch nicht die aller-
billigste, obwohl im übrigcn Bücher ge-
nug verkauft worden sind.

Um so dankenswertcr und bewunderno-
werter bleibt die unverdrossene Arbeit
des Bi'bliographischen Instituts, das mii
der soeben erscheinenden Festausgabe von
Goethes Werken sich selber übertrifft.
Jn achtzehn Bänden, für deren Text-
gestaltung und Überwachung neben Ro-
bert Petsch noch F. Bergemann, E. A.
Boucke, M. Hcckcr, R. Richtcr, I.
Wahle, O. Walzel und R. Weber zeich-
nen, liegt damit eine schlechthin nmster-
gültlge Auügabe vor. Es versteht sich,
daß sie nicht vollständig sein kann;Über-
setzungen, Naturwissenschaftliche Schrif-
ten, Briefe und Tagebüchcr etwa muß-
tcn einstweilen fehlen. Waö aber da ist,
und eS ist mit den vollständigen Varian-
ten, Nachträgen, Entwürfen und Ver-
würfen deS eigentlich poetischen Werkes
die Hülle und 'Fülle, das wird mit einer
 
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