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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 43,1.1929-1930

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Heft 4 (Januar 1930)
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Stoessl, Otto: Goethes Gespräche
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Kütemeyer, Wilhelm: "Jahrbuch der Sektion der Dichtkunst der preußischen Akademie der Künste"
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https://doi.org/10.11588/diglit.8887#0299

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Dichter hinterlassen. Für dieseS tranSzendente mittelbare Werk, an dem die Mensch-
heit mitarbeitet, ohne daß eS je aussetzt, ist, mehr als seine Dichtung, das „Phäno-
men" Goethe bezeichnend, der lebendig nachwirkende, der nnsterbliche Mensch. Wie
er sich nur vor der eigenen Beobachtnng in Tagebüchern zeigte, naiv oder bewnßt
in Briefen äußerte, wie seine Erscheinnng die bildnerische, sein Charakter die allge-
meine Phantasie anregte — welche Stufenleiter der Aussassung vom Gewöhnlichen
bis zum Göttlichen in der Sammlung seiner Bildnisse! —, wie er von den Mit-
lebenden geschildert, beurteilt, bewundert, angezweiselt, gesürchtet, geschmäht, geliebt,
gehaßt, angebetet wurde -— anch hier eme unendliche Stusenleiter des Gesühls —,
und nicht zuletzt, wie er im Berkehr, in Haus und Garten, bei Hos und aus Neisen
austritt, wie er sich in der Welt umtreiben läßt und den Strom dabei beherrscht, wie
und was er spricht, noch mehr, waS er verschweigt, dies alles trägt in Auszeichnung
und Überlieferung zu seiner ganzen Persönlichkeit die einzelnen Züge herbei und bildet
an ihr weiter. Man möchte sagen: dies allein ist Unsterblichkeit einer Seele.

Gerade zusällige Momente, Gespräche aus dem Stegreis, indem er sich einem 2lugen-
blick hingab oder entzog, bedingte Äußerungen drücken das Schafsen und Geschaffen-
werden seiner Uberlebensgröße aus, und man möchte nicht einmal die Unzulänglich-
keit und Willkür, die gelegentliche Erfindung gutgläubiger oder die miteinfließende
Verlogenheit berechnender Berichte entbehren, die sich doch alle auf die gleiche Kraft
beziehen, von ihr ausgeregt sind und sie weiter übertragen.

Eine menschliche Unendlichkeit — Goethes Persönlichkeit — ist darin enthalten, und
wie sie sich in anderen spiegelt, Einfluß übt und fordert, aber auch erfährt und
duldet. Es gibt Szenen, die der Borstellnngskraft Goethes Erscheinung und Hal-
tung bis zu einer fast sinnlichen Wirkung vergegenwärtigen, wo man sein Lächeln,
Abwinken, Ermahnen, schalkhaftes Drohen, seinen ironischen, ja mephistvphelischen
Zug, seine Geduld, Anregbarkeit, sein immer erneutes Jnkeresse an Bedeutendem,
noch mehr seine Fähigkeit, Geringes durch Beziehungen zu erhöhen, wie Züge sei-
nes Gesichtes, wie Schall seiner Stimme wahrzunehmen meint. Nicht bloß die welk-
geschichtliche Szene: Goethe vor Napoleon oder die letzten Krankheitstage, nein,
viele gleich gewaltige Augenblicke bei anderem Anlaß erscheinen unvergeßlich durch
die weitschauende Einstellung seines Geistes über die gesamte Kulturwelt, durch den
ökumenischen Zusammenhang, in den er sich eingereiht wußte. Er lebte so, als
durchdringe ihn recht eigentlich physisch das Bewußtsein seiner selbst als mächtigen
Teils der allgemeinen Seelenkraft aus der Welt.

Wie sehr Goethe dieser Allverbundenheit, dieser Unzerstörbarkeit seiner geistigen Sub-
stanz, der Unsterblichkeit seiner Seele bewußt war, geht aus dcm Gespräch her-
vor, das er aus Anlaß von Wielands Tod mit Falk gesührt haben soll. Mag es
auch in seiner Treue anzuzweifeln sein, die Pracht seines GedankenS bleibk, denn
diese dunkle Klarheit einer großen Seele macht eben die mythische Person, den
„Dämon" auS: ihre Schöpfung und Geschassenheit. Der Mensch sei daS erste Ge-
spräch genannt, das die Natur mit Gott hält, heißt es dort. Wenn die Natur, nach
dem Wort ringend, es in gewissen Augenblicken mit seinem, mit ihrem feurigsten
Jnhalt findet, redet, dann ist ein Goethe dieses Wort.

„^ahrbuch der Sektion für Dichtkunst der preußischen
Akademie der Küuste"*

Von Wilhelm Kütemeyer

Dst^atürlich seierte die neue Sektion für Dichtkunst der Akademic der Künste Les-
t sings zweihundertjährigen Geburtstag. Hätte er doch, meint der Präsident
Mar Liebermann, krast seines dichterischcn Genius Mitglied der Akademie sein

* S. Fischer Derlag, Lerlin.

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