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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 43,1.1929-1930

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Heft 3 (Dezemberheft 1929)
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Rang, Bernhard: Volk und Volksbildung
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Waldeck, Heinrich Suso: Aus: "Die Antlitzgedichte"
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https://doi.org/10.11588/diglit.8887#0181

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silh so zersplikkernden Kräske, in dcm Chaos der durcheinanderrufenden Stl'm-
men wird vielleicht nur der Stillste gchörk, und die verborgene Tak wie das
lauklose Gebek wirken mächkiger als alle Veranftalkungcn und Organisakionen.
Das müssen wir wissen, wenn wir innerhalb dieser Organisakionen — und
es gibt kein öffenkliches Leben, das m'chk, wie sogar die Religion, feftgefügke
äußere Formen brauchk — innerhalb der Gemeinfchafksformen, so brüchig
und veräußerlichk sie auch scin mögen, an jencm Reiche unzerftörbarer Ordnung
mitzubauen uns bemühen, das in der Welk iß, aber nicht von ihr seine Gel-
kung besitzk.

2lus: „Die Llntlltzgedlchte"

Bon Heinrich Suso Waldeck

Unler dem, tvas man heukzutage gememhin unter Lyrik verfteht, fällt das Werk emes
Mannes auf, darin Ders sür Ders Bilder nebeneinander stehen, streng in sich
gefaßt und bis zur letzten Geschlossenheit des Gedichtes sührend, scharf herauSge-
schnitten aus der sichtbaren Welt, „Antlitze", unerbittlich heruntergelesen von den
Dingen, Visionen, unheimlich schars und schneidend tvahr auS der klammernden Um-
sassung eines GeisteS in die ihnen einzig zukommende Gestalt getviesen. Das Derb-
Kräftige steht neben dem Zart-Wirklichen; das Zarte allein wäre nicht genug,
es bekommt seine Gewalt erst durch seine Prägnanz, seine Realistik — so toie sie
im Leben nebenemander stehen. Diese Verse vertragen den Reim nicht und nehmen
ihn höchstens leicht als letztes Mittel zur Bollkommenheit, vertragen kein Füllsel,
kein gewohntes, schwaches, sentimentaleS Wort. Die Bilder zwingen die Form.
Sie ist nicht das erste. DaS macht den Unersahrenen bei Waldeck stolpern und
den Weg im Anfang schwer, aber das baut sich endlich aus in dem, der tieser ge-
drungen ist, als ein neues Reich eines eigenen Dichters.

Trotz der Härte kommt jedes Wort aus einer tiesen Gläubigkeit, einer unendlkchen
Hingegebenheit an das Objekt und einer übergroßen Bescheidenheit vor diesem. Alles
was erdhaft ist, trägt noch zuletzt die himmlifche Schwinge. Wie jeder Mensch besitzt
jedes Ding die Gnade eines eigenen „Antlitzes", mag es das häßlichste sein, es ist von
Gott und Gott spiegelt sich noch darin. Darum liebt eö der Dichter. Wie es Rkax
Mell fordert: „Gott müssen wir ergraben darin ... dann wird anheben das Reich",
ergräbt ihn der Dichter mit sicherster Hand. Überall ist Gott, im uralten Krug, rn der
Haltung des Ahns, im Schatten eines mächtigen Schlotes sieht er den zerlumpten Kin-
dern der Vorstadt zu, er schreckt und stärkt den Schlaflosen. Gott ist auch noch in der
Dirne, er zieht durch den Rauch einer erbärmlichen Hütte als ein Glockenton und er-
löst noch das Kind. Schön sind die Dinge alle, auch häßliche, weil sie wahr sind,
weil sie ihr Wesen einheitlich ausdrücken („Reinigung"). Unnachahmlich gestaltet
ist diese „Mulde im Walde". Darin bekundet sich auch der Meister ei'neS reichen
Natursinns.

Von tiesem Erschauen des Gemeinen und Tierischen, von seiner fast ruchlosen Dämonie
im Aushellen solcher Geschehnisse, von der unwiderstehlichen Magie der Verwesung
geben die Gedichte auS dem Zyklus „Das böse Dors" ein besondercS Zeugnis. Aber
sie zeigen auch die menschliche Durchdringung, die erlösende, die Waldeck von Gryphius
in dieser Hinsicht unterscheidet, der erbarmungsloS unerbittlich richtend sich noch
weidet am Grauen der Zerstörung.

Gott ist immer um und in diesen Gedichten, manche sind nur noch ein Gebek, ein
schreckliches und nur noch inniger ergebenes. Der Zyklus „DaS böse Dors" bildek
den einen Gipselpunkt dieser Kunst, die „Geistli'chen Lieder" den anderen. Wie dork
Ruchlosigkeit und Gemeinheit in die erlösende Form, ins Gedicht sindet, so ist hier das

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