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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 43,1.1929-1930

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Heft 4 (Januar 1930)
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Lagerlöf, Selma: Selma: zwei Kapitel aus Mårbacka, Jugenderinnerungen (A. Langen Verlag)
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Stoessl, Otto: Goethes Gespräche
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https://doi.org/10.11588/diglit.8887#0297

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pricsen die Luft und das Meer und die ganze SkadL und waren glückselig,
daß sie hierhergekommen waren.

Das kleine Mädchen aber hatte seine eigenen Gedanken. Sie fragte sich nur,
ob es wirklich der Paradiesvogel sei, der ihr geholfen habe. War es das klcine
Wunder mik den wehenden Schwingen, das aus dem Lande gekommen war,
in dem man keiner Füße bedurfke, das sie gelehrk hakke, auf dieser Erde zu
gehen, wo Füße doch etwas so schr Nvkwendiges waren?

Goethes Gespräche

Don Okto Stoessl

oldemar von Biedermann hw nij^ xch^ deukschem Fleiß, mit unermüdll'cher

Gründlichkeit und vor allem mit größter Liebe und genauestem Versiändnis
aus deu Quellen, aus Briefen, Denkwürdigkeiten, aus vergessenen oder längst unzu-
gänglichen Werken alle Äußerungen gesammelt, die Goethe im Gespräch zu Freun-
den, Gästen, Dertrauten oder Fremden daheim oder auf Reisen, bei besonderen An-
lässen oder in der Laune des Moments getan hat.

Bei seiner Arbeit hat der HerauSgeber alle Sorgfalt auch der Kritik, der richtigen
örtlichen und zeitli'chen Einstcllung, der Echtheits-, Wahrheitö-, oder wenigstens
Wahrscheinlichkeitsprüfung walten lassen. So isi die große fünfbändige Ausgabe
der Gespräche Goethes entstanden, ein eigentlicheS Monopol BiedermannS, in dessen
Hand und Hirn diese unendlichen Beziehungen allein vollgültig vereinigt und leben-
dig waren. Sein Sohn Flodoard hat nach dcm Tode des Daters das ungeheure
Material übernommen, es durch fortgesetzte Studien erweitern und der ersten eine
zweite Auflage folgen lassen können. Diese fünf Bände stellen schon heute ei'neri
kostbaren Besitz dar, nicht leicht zugänglich und zu erwerben, weil vergri'ffen.

So lag es nahe, eine mäßig gekürzte, das Wichtigste umfassende, das minder All-
gemeinverständliche ausschließende, doch möglichst reichhaltige AuSwahl auS der gro-
ßen Sammlung zu veranstalten und dem weitesten Leserkreis erreichbar zu machen.
Flodoard von Biedermann hat sich dicser Aufgabe unterzogen und im F n s e l - D e r -
lag eine gefällige Dünndruckausgabe „G o e t h e s G e s p r ä ch e" herauögebracht,
die sich den anderen Klassikerpublikationen dieses Verlages würdig anschließt. Bei
dieser Gelegenheit möchte doch der Wunsch nicht ungesagt bleiben, auch die Brief-
sammlungen auö Goetheö näherem Umgang fortgesetzt zu sehen, deren einige be-
reits voni Fnsel-Derlag in schöner Gestalt neuverösfentlicht sind, aber andere, be-
sonders bedeutsame leider noch ausstehen. Jn der Gesprächauöwahl sind die Ecker-
mannschen weggelassen, weil sie, gesondert, in vielerlei Ausgaben vorliegen.
Wenn irgend die Beschäftigung mit einer großen Persönlichkeit Trost, Förderung
und Anregung bietet und dem, der sich in seiner Zeit wie ein Schiffbrüchiger auf
einer wüsten Fnsel vorkommen mag, über alleS Elend hinweghelfen kann, indem
sie ihn mit leuchtenden Fittichen in eine Zeistige Ewigkeit trägt, so ist es die Be-
fassung mit Goethe. Sein Wesen hüllt das unsrige hesperisch ein und leitet fremde
Kraftströme in uns über.

Jn jedem Menschen von Menschheitsausmaß lebt eine solche Kraft über sein eigenr-
liches Leben hinaus und entfacht in den Nachfahren ungeahnte neue, aber verwandte
Kräfte, die wicderum auch ihren einstigen Urheber gewissermaßen weiterbilden. Da-
durch wird seine Erscheinung mythisch, und jede Gegenwart m'nimt an ihr immer ihr
Neues wahr: seine und ihre eigenen Züge im Glanze seiner Zeitlosigkeit. Bei Tat-
menschen ist dieS leichter zu begreifen, weil das Mittel, das ihnen an die Hand ge-
geben ist: die Handlung, stets in sichtbaren Beziehungen zu Gebieten und Nationen
bleibt und sinnliche Folgen hervorbringt. Aber bei schöpferischen Naturen, die bloß

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