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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 43,1.1929-1930

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Heft 4 (Januar 1930)
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Michel, Wilhelm: Symbol und Ornament: neue Aufschlüsse über ihr Wesen durch eine Rauschgiftwirkung
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https://doi.org/10.11588/diglit.8887#0261

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Gymbol und OrnamenL

IT'eueAufschlüsse über ihr Wesen durch eineRauschgiftwirkung
Von Wilhelm Michel

isl ein ganz besonderes und sehr fremdartiges Material, das ich den
'^nachsolgenden Aussührungen zugrunde lege. Von 1920—1926 sind an der
Heidelberger Klinik systematische Versuche mit einem merkwürdigen Alkaloid
gemachk worden, das in einer mexikanischen Kaktee vorkommt und mik dem
Rkamen M eskalin bezeichnet wird. Die Wirkung dieses Rauschstosses geht
sehr entschieden ins Geistige. Sie führk einen durchgreifenden Umban der
Persönlichkeit herbei. Sie holt gleichsam ans dem modernen Europäer den
archaisch-primitiven Menschen wieder heraus. Und damit bringk sie auch die
ganze Erlebnisweise, das ganze Weltbild, das zum altertümlichen Menschen
gehört, wieder zum Vorschein. Gerade darauf nun beruht die eigenkümliche
Tatsache, daß die Erscheinungen des Meskalinrauschcs außerordentlich wert-
volles Material zur Erweiterung der wissenschaftlichen Eiusicht liesern^.
Sie sind keineswegs bloße Kuriositäten. Sie führen ein gesetzmäßiges Ge-
schehen vor, sie zeigen dcn realen Rückgang in eine ältere Welk, die in dcn
Tiefen unsres Seelcnlebcns noch weiterwirkt und in der so viele Erscheinungen
unsres wachen Daseins ihre Wurzeln haben; besonders gewisse Erscheinungen
in der Welt der Kunst und der Religion.

Kennzeichnend sür die Wirkung des Meskalins ist namenklich das eine, daß
es dcn Menschen mit unwiderstehlicher Gewalt in das Erlebnis des gro-
ßen Zusammenhangs, also m das mystisch-ekstatische Grunderlebnis,
hineinsührt. Von da aus liefert es dann, m der Weise, die ich ausführen will,
neue, wichtige Aufschlüsse über das Wesen von Symbol uud Ornament,
über ihre Entstehung und Bedeutung, ja übcr die ganze Welt, der sie ange-
hören, in der symbolhaft gefühlt, gcdacht, gelebt wird.

Es zeigt sich an dem Mcskalinmaterial mit voller Klarheit: Symbolbildung
und symbolisches Lcben überhaupt beruhcn anf dem Grunde des großen Zu-
sammenhangserlebnisses. Ich will dieses Zusammenhangserlebnis, soweit es
sich im Meskalinrausch darstellt, kurz illustrieren.

Eine Versuchsperson sagt: „Das Einzelne konnte weder gesondert Gegen-
stand des Rkachdenkens werden, noch wurde es von cinem Sinn i'soliert emp-
sunden... Das laute Bellen eines Hundes (von dcr Straße) bewegke das
ganze Bild, zitterte durch meinen rechten Fuß. Das war alles so deutlich, daß
ich den Hund mit meinem rechten Fuß identifizieren zu müssen glaubte." Weil
also das Hundegebell einen Nerv des Fußes irritiert, wird ohne weiteres dcr
Schluß gezogen und im Empfindungsbercich nachdrücklich bestätigt: der bel-
lende Hund ist der Fuß, der Fuß ist der bellende Hund. Das i'st ein derbes
Beispiel sür diese im Mcskalinrausch üblichen Id^utiflkationen, die gleichsam
quer durch die Geschcheusreihen hinzucken, wie das Wcberschistchen, so
daß in der Tat „e i n Schlag Lausend Berbindungen schlägk". Dicse unter-
halb der sondernden Begristsfunktion hcrlaufenden Querverbiudungen, dieses
in lauter Kurzschlüssen sich bcwegende Denken sind für den Meskalinzustand

* Oie Eegebnissc der Heibelbergee Experimeiite liegen vor in dem Duche „Oer Meskalinrausch"
von Kurt Beringer (Julius Springer, Berlin 1927).

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