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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 43,1.1929-1930

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Heft 4 (Januar 1930)
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Michel, Wilhelm: Symbol und Ornament: neue Aufschlüsse über ihr Wesen durch eine Rauschgiftwirkung
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https://doi.org/10.11588/diglit.8887#0262

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äußerst charcckLeri'süsch. ELue der Heidelberger Versuchspersonen findek dafür,
als eine wichckge Enkdeckung, die ausdrucksvolle Prägung: „IPeLn Denken
war vorher longikudinal, jetzt Lst es Lransversal." Longitudinal ist Ln der
Tak das uns geläufige Dcnken, da es ja an den begristlich herausgelösten Em-
zelerscheinungen und Einzeldingen entlang geht. Im Meskalindcnken ist
diese zerlegende, „Dinge" oder „TLesen" herausgreifende Begriffsfunktion
so stark gedämpft, daß alles zeiLlich Zusammcnfallende sich zu einer einheit-
lichen, kompakten Masse verfilzt, innerhalb deren eins aufs andere beutek,
eins das andere bedeutet oder sogar ist.

Mehr nach der gcistigen Seite wird das zwanghafte Zusammenhangserleb-
nis in einem anderen Falle deutlich. Eine Bersuchsperson berichtek: „Ich
wollte (Lm Nausch) eincm anderen eine BegebenheiL, die sich einige Tage vor-
her zugetragen hatte, erzählen, schwieg aber, weil ich einfach den Änfang
nicht finden konnke. Es war mir unmöglich, die SiLuaLion zu finden, mik wel-
cher ich die beabsichtigke Erzählung beginnen sollke. Ich war genökigt, immer
an die vorhergchende SiLuakion zu denken, welche die vorhergenannke ver-
ursachL hatte; und so mußte ich gewissermaßen an der KausalkeLLe immer
weiker zurückkleLLern, fand keinen Anfang und mußte das Erzählen schließlich
aufgeben." Hier Lst es das zeitlich-kausalc Zusammenhängen, das real erfah-
ren wird und das dem „anfangenden" WorL cine solche DLchtigkeit entgegen-
seHL, daß es nirgends cindringen kann. Es entsteht eine psychische Verlegenheik,
die einer komischen Beimischung nicht entbehrt. Man wird sich in sie aber hin-
eindcnken können, wenn man sich ähnlicher „Berlegenheiten" beim späteren
Dostojewski erinnert: wie schwer ringen sich da (etwa in den „Dämonen"
oder den „Karamasows") die Gestalten aus dem Erdreich von GcschichLe
los, in dcm sie steckcn, wicviel Mühe kostet es, bis sie endlich geformt und
aus den Kausalzusammenhängen befrci'L dastehen und auf ihren eigenen zwei
Beinen weitergchcn! Zugleich zeigt der zitierte Bericht, wie sehr das Sprechcn
ani Ich, an der Ratio, an der einschneidenden und herausgreifenden Begrists-
funktion hängt. Sie allein sind cs, die den endlosen Zusammenhang ver-
letzen und einen „Anfang" crmöglichen. Im Anfang Lst das WorL; ini
WorL ist der Anfang.

Weil also im Meskalinrausch der große Zusammenhang real erfahren wird,
weil Äußeres und Inneres, Stostliches und Geistiges, Privakes und Kos-
misches, Nahes und Fcrncs, Gesehenes, Gehörtes, GedachLes und Empfun-
denes durchgehends gekuppelt auftreken, ja als vollkommen idcntisch crlebt wer-
den — deshalb bcdeuLct cin einzelnes Faktum niemals bloß sich selbst, sondern
immer auch vieles andere. Insbesondere gehen dicse wechselseitigen Echos
und Aufrufungen zwischen dem Reich der Sinneserscheinungen nnd
dem Mich der Bcdeutungen hin und her. Im Meskalinrausch über-
schneiden sich nicht nur die Sinnescmpfindungen — so daß, was Ton Lst,
auch gesehen, und was Gesicht ist, auch mck dem Tastsinn gespürt wird —,
sondern es hat auch alles irgendwie Wahrgenommcne alsbald eine geistige
Bedeutung; und zwar Lst diese geistige Bedcutung vollkommen in Sehen und
Hören hincin verschmolzen, braucht nicht ergrübelk oder herausgelesen zu
werden, wie ctwa bcim Rcbus oder der Allegorie (die ja beide über dcn Be-
griff gehcn). Ein Beispiel. Der französische Meskalinforscher Alexcmdre

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