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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 43,1.1929-1930

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Heft 6 (März 1930)
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Alverdes, Paul: Der Nebenmann: Novelle (endgültige Fassung)
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Brock, Erich: Chardin
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https://doi.org/10.11588/diglit.8887#0415

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mchr sogleich zu deuken wußte. Es war ein Pfeifen und Zischen und Rasseln,
das sich in immer schnelleren und wildereu Stößen erneute, und nun ward er
inne, daß es sein Nebenmann war, der mit dem Tode kämpste. Jm trübeu
Licht der Nuchtlaternen scch er die Gestalten der Helser um sein Bekt stehen,
er hörte das Klirren von Jnstrumenten und die leise befehlende Stimme des
Arztes. Da befiel ihn eine grausige Angsi. ,Er muß sterben/ dachte er, ,und
ich muß mit ihm dahin, es kann nicht anders sein/ Er rang die Hände und
hob sic vor das Gesicht, über das Schweiß und Tränen slossen, er wollte
beten, aber er vermochte es nicht, denn die frommm Worte in seinem Mund
vermischten sich mit verzweiselten Anklagen und Läsierungen. Dann zog er
sich dic Decke über den Kops und bohrte das Gesicht ties in die Kissen, seht
suchte er den Abgrund der Ohnmacht, des Todes selbst, nur um ein Ende
zu haben. Aber er fand chn nicht. Rasselnd begann auch ihm der Atem zu
gehen, das Herz slatterte ihm in dcr Brusi, und mit langen und immer ge-
schwinderen Schlägen begann der Saal um ihn zu schwanken nnd sich im
Kreise vor- und rückwärts zu drehen. Allein ganz plötzlich ward es drüben
ruhig, das Licht erlosch und die Gestalten entsernken sich. Er lauschte hinüber:
schön und regelmäßig kam ein Atem daher.

,Er hat es übersianden/ dachte er, ,wir haben es übersiandens er streckte sich
aus und schloß die Augen. Halb schon umdämmert tasiete er mit der Hand uach
der nackten Brust über dem Herzen. Das Gangwerk darin klopfte ruhig
und siark.

Als er am andern Morgen erwachte, wmrderbar gesiärkt, kühl von Haut und
mik dem gewissesten Gefühl der baldigen Genesung, sah er, wie zwei Soldaten
eine lange Gestalt von dem Lager neben ihm herunkerhoben und hinausschlepp-
ten. Sie war von Kopf bis zu den Füßen in das weiße Bettlaken einge-
bündelt und regte sich nicht. Er suhr anf und sireckte die Arme aus, seine
Lippen bewegten sich, als wollte er ctwas rufen, doch kam ihm kein Ton aus
der Kehle. Dann saß er mik glühenden Augen still. Als eine Weile darauf der
eine der beiden Soldaten zurückkehrte und mit einem Schwamm den Namen
und die Regimmtsnummer auf der über dem leergewordenen Bett befindlichen
Tafel zu löschen begann, sank er zurück und legte beide Hände vor das Gesicht.
Es war nun sicher, daß er nach Hause zurückkehren würde, und cr schämte
sich, wenu auch vielleicht nichk vor Meuschen.

Jn der Tat brachte man ihn später in ein Lazaretk nach Deutschland, wo er
genesen isi.

Chardm

Bon Erich Brock

^T-s ist selksam und wohltuend, auch in deu Zeiten der Auflösung, wie es das
^-^achtzehnte Iahrhundert war, auch ,'n dcm Land, wclches damals die Bor-
huk des Fortschritts im Guten wie im Bösen bildete, die ewigen Bedingnisse
alles Menschentums und alles Geistes, Wirklichkeit und Wahrheik, ihre
Herrschaft erweisen zu sehen. Es ist seltsam und wohltuend, wie unter den
Künstlern, die in jenem Lande zahlreich, begabt und in enger Fühlung nn't dem
Zeitgeisie aufstanden, gerade derjenige sich im Laufe der Jahrzehnte wie ein

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