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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 43,1.1929-1930

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Heft 6 (März 1930)
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Brock, Erich: Chardin
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Wandrey, Conrad: Das Formproblem der Oper
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https://doi.org/10.11588/diglit.8887#0424

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arbeiten vermag. 2lber in einer Zeit von der Bewußtheit der heutigcn kann
der Versuch, das Bewußtsein der künstlerischen Polarität auszulöschen, nicht
zn schöpferischer Llbsolucheit, sondern muß zu verbissenem, sterilem Fanatismus
führen, welcher (ohne von ihr loszukommen) ein zackiges Nein zur Wirklich-
keit im Expressionismus, oder eine rohe Kompaktheit und Klohigkeit als
Wesensmerkmal des „Sachlichen" für diese Absolncheit untcrschiebt.

Das Formproblem der Qper

Von Conrad Wandrey

^r^arüber, daß nnser gesamtes hentiges Opernwesen sich im Zustand einer
^-^schweren Krisis befindek, ist unter einsichtsvollen Beurteilern wohl kein
Zweifel. Man soll aber für diesen bedenklichen Zustand nichk die allgemeine
Zeitlage verankwortlich machen wollen mik dem Hmweis, daß sie reiner Kunst-
entfaltung nicht günstig sei. Haben denn wirklich alle Gattungcn gleichmäßig
unter dieser Krisenstimmung zu leiden? Es scheint vielmehr, daß die Opern-
form als solche wieder einmal in ein kritisches Stadium ihrer Geschichte ge-
treten ist, dessen Problematik viel tiefer greift als die Erschütterungen, von
denen dic bildenden Künste betroffen wurden oder die Dichtung und selbst die
absolute Musik. So ist zum Beispiel die Lyrik schon schlechthin totge-
sagt worden. Nvch unlängst ließ cin superkluger Kopf in einer Likerakur-
zeitschrift sich dahin vernehmen: es gäbe überhaupt kein menschliches Innen-
leben mehr, das gerade in dieser dichterischen Form sich aussprechen müßte,
und so gehöre sie zum toten Gerümpel, ins Kulturmuseum des neunzehnten
Iahrhunderts. Die Lyrik blüht Lrohdem weiter. Llnd jeder dichterisch Emp-
fängliche, der Verse von Ina Seidel oder Ruth Schaumann, Hans Carossa
oder Richard Billinger liest, wird spüren, daß solches „jeHLzeiL"-beflissene
Gercde an die organische Richtigkeit, die beglückende Konsistenz dieser Gedichte
gar nichk herankommt. Echte Begabung findet hier für das Lebendige, was sie
zu sagen hak, eine gesicherke, vorgeprägte Form, die bei allem umgcstaltenden
Wandel durch die Iahrhunderte sich gleich geblieben ist, wcil sie eincr mensch-
lrchen Grundhaltung zur Welt entspricht.

llnd so hat auch die epische Darstellungsweise, in der das menschliche Ich
nicht als Seele in die Welt ausschwingt wie beim Lyriker, sondern dic Breite
des Weltgeschehens selbstlos in sich hineinnimmt, um sie nacherzählen zu
können, ihr Lief begründetes GeseH, das immer wieder erfüllt worden ist nnd
heute, LroH dem eiklen subjektiven Gebaren modischer Romanschreiber, von
einem Kolbenheyer, einem Hans Grimm erfüllt wird... Sogar dem Drania,
dem bewegten Gegeneinander handelnder Menschen, hat die expressionistische
Anarchie auf die Dauer nichts anhaben können. Und die Musik, die in einem
Ienseits der Erscheinungswelk beheimatet ist? Die Neutöner venneinten, das
Gebäude der Harmonie, des geseHmäßigen Zusammenklangs kurz und klein ge-
schlagen zu haben. 2lber unker den Iüngeren schreibk Kurt Thomas seine
Messe in a, seine Passionsmusik nach Markus, sein Klaviertrio, Karl Marx
seine Nille-MoLettc, sein Konzerk für zwei Biolinen und Orchester, als ob
nichks gcwesen wäre, Werke aus genialer Intuiü'on und in ihrer Formgebung
dort anknüpfend, wo Bruckner und Reger aufgehörk haben.

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