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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 43,1.1929-1930

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Heft 4 (Januar 1930)
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Britting, Georg: Das Liebespaar und die Greisin
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André, Hans: Vom Wesen und Gegenwartswert christlich-mittelalterlicher und Goethescher Naturanschauung, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.8887#0277

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es wohl bald scin! Vorläufig aber sah Maria noch in dcn Schncc hinaus.
BebLe nichL ihre Oberlippe? Wurde sie nichk roLer und jeHL wieder blasser?
Da legLe Karl den Arm um Marias Schulker und zog sie leichL an sich,
und das Mädchen gab dem Druck nach, ohne die Skellung der Füße zu ver-
ändern, neigLe sich nur zu ihm hcrüber, und so nun standen sie also eine Weile,
und es war schwer, zu einem Kuß zu kommen.

Es war schwer, zu einem Kuß zu kommen. Der Schnee wirbelLe, Marias
GesichL war nun näher bei ihm, ihre Lippen warcn nun näher bei ihm, ihr
2lLem war nun näher bei ihm, sie bebLe, er sühlLe es am 2lrm, der noch immer
um ihre SchulLern lag.

Und jeHL wagLe er es. Er zog sie dichL an sich, jcHk mußLe sie einen Fuß vom
Boden heben, sie LaumelLe ein wenig, dann lag sie an seiner Brust, lag ihr
Kops an seiner SchulLer, hob sie das Gesichk ihm ein wenig enkgegen.

Er behielL sie im 2lrm, lchnke sich an die Wand, blieb an die Wand gelehnk,
fühlke den kalken SLein, gab ihr den ersten Kuß. Sie riß sich zurück, sein
Rücken verließ den kalLen Skein, dann ließ er sich wieder gegen die Wand sinken
und nahm das Mädchen mik und küßke es zum zweiken Male. Und zum
driLLenmal schmiegkc er sich gegen die Mauer, schmiegke sie sich an ihn, und zum
driktenmal küßLe cr sie. Sie haLLen nichts gesprochen, haLLen die 2lugen ge-
schlossen, wußken nichks von der Welt, wußten nur von ihrem Kuß.

Jn ihrem BeLL die Grcisin, bleich in den weißen Kissen, die sich vor ihr
LürmLen im schwachcn LichL der Bogenlampe von draußen wie cin Gebirge,
das sie zu durchwandern hakke, Hügel hinauf, Hügel hinab, sie wanderte nnn
schon nächkelang, die Greisin hörke ernen schrillen Ruf, die Klingel LönLe kurz.
Man rief sie schon? Man rief sie endlich? Das schwere, bleiche Gesicht
hob sie empor. Das Signal, das langerwarkete? Der Trompekcnstoß? Da
klingelte es zum zweitenmal, länger diesmal. Ja, murmelke sie, ja, ja, ist schon
rechh und sah über das BeLtgebirge hin, wo ein Paß sci, ein Höhenweg, ein Hir-
Lensteig. llnd zum driktenmal durch die stille Skube schrillke der Klingclrus. Är-
gerlich, fast murrend sagke sie: Ia, ja, ich komme, ja, ich komme ja schon, brauchst
nichk noch einmal zu blasen, Erzengel, schimmernder, und sank zurück.

Gebe GoLk jedem von uns einen so sanfken Tod.

Durch den Schneewirbel, 2lrm in 2lrm, liefcn Karl und Maria, die der 2lltcn
das Zeichen gegeben haLLen, von unken, von unkcn unker dem Türdach, im
Kuß sich gegen den Klingelknopf drückend. Lief ins Leben, das Erzengelpaar,
das Mörderpaar, ins wirbelnde, aus dem die Greisin sanfk und ruhig heraus-
getreken war.

Vom Wesen und Gegenwartswert christlich-mittelalter-
licher und Goethescher I^aturanschauung

(Fortsehung)

Bon Hans 2lndre

^VP^enn wir den Disposikionen nachspüren, welche in der heukigen Näkur-
wissenschaft, und zwar vorab in der Biologie, auf eine neue Frage-
ftellung hindrängen, so finden wir, daß dieselbcn zwcifellos durch das 22er-
sagen der überabstrakLen, rein mechanistischeu WirklichkeitsansichL enkstanden

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