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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 43,1.1929-1930

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Heft 3 (Dezemberheft 1929)
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Werfel, Franz: Neue erzählende Prosa: Barbara oder die Frömmigkeit
DOI Artikel:
Ein paar Ratschläge für "unzeitgemäße Leser"
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https://doi.org/10.11588/diglit.8887#0220

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Zusammenfassend: es ist nicht im Sinne der Zeitschrift, in welcher di'ese kritischen
Betrachtungen erscheinen, ein gänzlich mißlungenes und verfehltes Werk eines be-
deutenden Autors mit Stillschwcigen zu übergehen, um so weniger, als diesem die
lobendsten Rezensionen in den meisten Blättern, sowie ein großer Bucherfolg mit
Sicherheit vorausgesagt werden dürfen. Dem Autor gönnen wir beides; wie hoch
man ihn schätzt oder schätzen möchte, kann man, wenn eS nicht anders geht, auch
durch den an eine Fehllcistung gesetzten Aufwand beweisen. Bessern kann man
freilich nichts, aber man kann versuchen, wenigstens dem Leser zu dienen, und dieser
erscheint nachgerade der Hilfe zum mindesten nicht weniger bedürftig als — manche
Autoren.

Em paar Rakschläge für „unzeikgemäße Leser"

^^ch weiß, wie verlegen man ist, wenn man jemand ein Buch zu Weihnachten
^.Zschenken möchte, vor allem, wenn es eine „Novität" sein soll. Denn da ist es
wahrhaft schwer, aus dem Wust von Mittelmäßigem, Beiläufigem und ganz Wert-
losem die Körner herauszupicken. Es muß aber durchaus nicht ein neues Buch sein
und schon gar nicht das allerneueste. Erinnert man sich der Namen Dtto Stoessl,
Kolbenheyer, Hans Grimm, Hermann Stehr, Schaefser, Binding, Hofmannsthal,
Paul Ernst, Andersen Nexö, Hamsun, Lagerlöf und wie sie heißen, mit denen sich
der Begrisf des wesentlichen, dichterischen und unvergänglichen Schrifttums verbin-
det, so bleibt des Guten genug, und man wird sich in jedem Falle den Dank des
Beschenkten verdienen. Es kann auch einmal ein Lyrikband sein, eine Anthologie,
ein gutes Kriegsbuch oder sonst ein bleibendes Werk, wie wir in den Hinweisen der
letzten Jahre anzuregen versuchten. Bon älteren Autoren möchte ich noch einmal
fur Stevenson, Tschechosf, Leßkow eintreten, die viel zu wenig gelesen werden.
Jch erinnere wiederholt an Thomas Hardys „Teß d'Urbervilles" (List) und weise
mit Vergnügen hin auf die neue Ubertragung von Georg Merediths „Egoist",
die in der Sammlung Epikon des gleichen Berlags erschienen ist. DaS Buch kann
heute sein Glück nicht machen, so wenig wie damals, als es herauskam, da es einen
anspruchsvollen, sogar sehr anspruchsvollen Leser voraussetzt. Der allerdings sieht sich
bei der Lektüre auf das schönste beglückt. Denn dieses Meisterwerk eines der mächtig-
sten Gestalter Englcmds und der Weltliteratur überhaupt verrät in ein paar Kapiteln
mehr dichterische Kraft, Fülle des Einfalls und des WitzeS, mehr Weisheit, als unsere
Literaturkapitäne in ganzen Reihen von Bänden zu erschwitzen vermögen. Meredith ist
ein großer Dichter, ein großer Humorist und ein souveräner Kopf in einem.

Man ist heute mißtrauisch gegen solche Vorzüge und möchte sie angesichts der fetten
Jahre der Mi'ttelmäßigkeit, Minderwerti'gkeit und Humorlosigkeit für abgetan halten
und mit Theodor Haecker an den Anbruch des ledernen Zeitalters der Literatur glau-
ben, geriete einem nicht von Zeit zu Zeit ein Buch wie Ernst Penzoldts „Ar-
mer Chatterton" in die Hände oder Hans Carossas „Kindheit" und „Verwand-
lungen einer Jugend", in denen die lauterste Poesie und der echteste Humor wiederge-
boren sind. Humor gibt es meist nur noch in den lieblosen Formen der Jronie, deö
Sarkasmus, des groben Witzes, des Kalauers, der bissigen Komik und der gehässigstcn
Satire; das Verehrende, Wissende und Bescheidene, das zu ihm gehört und daS erst
seine Überlegenheit auömacht, scheint abhanden gekommen zu sein. Es geht mit
dem Naiven und Elementaren jeder Art nicht anders, so daß man glücklich ist, ein
so frisches, rüstiges Buch in die Hände zu bekommen wie Barbra RingS „Anne
Karine Corvin" (A. Langen). Das ist etwas so Derbes und Kerngesundes, wie es
nur die echte Volkserzählung hat, diese unbekümmerte Geschichte eines unter Männern
aufgewachsenen Wi'ldlings, der es, wie sich's gehört, schließlich doch zu einem guten,
tüchtigen und rührenden Ende bringt. Nicht minder anspruchsloS, aber schon inö

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