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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 43,1.1929-1930

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Heft 6 (März 1930)
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Michel, Ernst: Zeit-Theater und neue Volksbildung
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Alverdes, Paul: Der Nebenmann: Novelle (endgültige Fassung)
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https://doi.org/10.11588/diglit.8887#0409

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in dem Massenpublikum dic echke Schicksalsverbundenheik hervorgenökigt
und die schlummernde Krafk neuer VolkheiL aufgerufen wird. Nkw krafk
dieser Haltung vcrdienke das Theater, wenigfkens in Deukfchland, auch poli-
tisches Theaker gcnaimk und als solches gerechkfertigt zu werdcn: insofern
es nämlich mit bewußkem Gefkalkungswillen voni Zufkand der Volkszcr-
ftörung, von der alle polikifchen Mächke bis zur äußerfken Linken ergriffen
sind, auf eine aus hellsichtiger Verankworkung konzipierken neuen Uolks-
gemeinfchafk hinwirkk. Echke PoliLik gibk es in unserem gefchichtlichen Zu-
ftand nur mehr als nkopienfreie „Politik auf Hoffnung hin".

Gewinnk das Volksthcater derark erft wieder eine echke zeikberufene Aufgabe
im inneren Zusammenhang mik den enksprechenden volksbildnerifchen Jlufgaben
in allen unseren Lebensbereichen, dann erhälk es auch Maßfkäbe, Richklinieu
und Kräfke für die rechke Auswahl und Darbiekungen aus unserem Erb-
beftand von Dramcn, deren „Erneuerung" heute mehr oder nünder ein bloßes
Experimenkieren für eine ungemein hochfkehende, aber in ihrer Bedeukung über-
fchähkc Regickunfk geworden ifk.

Der Nebenmann

Novelle

(cndgültige Faffung)

Bon Paul Alverdes

'-^^n einer Herbftnachk des Iahres 1915, währcnd hcftiger Angriffe der Vcr-
^Hbündeken auf die Skellungcu der Dcutfchen südlich von La Bassec in
Frankreich, befand sich ein kaum dem Knabenalker enkwachsener Kriegsfreiwil-
liger allein in einem der Llntcrfkände seiner Bakkeric. Er hakte befehlsgemäß
für dic Kameraden seines GefchüHes draußen, die feik den gleich uach Mitkag
bei dichkem Nebcl unvermukek losgcbrochenen Anläufen marokkanifcher und
indifcher Divisionen ohne Aufhören luden und feuerten, an einem eiserncn
Hfchen Suppe gekochk. Eben war er im Begriffe, mik cinem großeu Schöpf-
löffel das dampfende Gekränk in dic am Bodcn vor ihm fkehendeu Feldkessel
zu verteilen, als zwifchen den Zelkbahnen, die den Eingang fchräg über ihm
verhängken, ciu bärtiges Angesichk crfchicn, das ängftlich auf ihn hernieder
spähke. Gleich darauf Leilken sie sich vollends uud ein fremder Landwehrmann
in Helm und Mankel mik vollem Gepäck kam langsam die Erdstufen herab-
gestiegen.

Seine plötzliche Erfcheinung beftürzke und verwirrte den Freiwilligen estien
Augenblick lang auf cine ihm selber unerklärliche Weise. Es war ihm näm-
lich, als kenne er diesen Menfchen fchon lange und als habe er inimer uur
darauf gewartek, daß er wicderkomme; allein zugleich besann er sich ganz ver
gebens, woher er ihn kannke und was es für eine BewandLnis mit ihnen bei-
den hatkc. Mik geifkerhafter Schnelle vertanfchten sich die Gesichker, die er sich
heraufbefchwor, wieder und wieder. Andere Gestalten blickken aus immer an
deren her, Junge und Alke, Schöne und Verzerrke, mit denen er über das
Nebelfeld der Trichter gesprnngeu odcr im. nächtigcu Labyrinth der Gräben
umhergeirrk war. Doch dieser eine, der ihn anzog wie mik väterlichcr Licbes-
kraft, mächtig und geheim, war nicht darunter.
 
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