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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 43,1.1929-1930

DOI Heft:
Heft 6 (März 1930)
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Michel, Ernst: Zeit-Theater und neue Volksbildung
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https://doi.org/10.11588/diglit.8887#0402

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XXXXIII.

Jahre des Wi'ederaufrichLens nach ungeheurem Einsturz, das sind die
'^^guten WachsLumsjahre der Völker. Zwar erkennen immer nur wenige
besonnen-tätige Geister die Vorteile der Niederlage; aber auf diese wenigen
kommL es an, und während andere genießen, anklagen, verfluchen und auf
wühlen oder der Menfchheit vorfchreiben, wie sie sich von nun an zu cnt
ivickeln habe, bereiten jene still die ZukunfL vor. Sie haben allc schon dcn
llntergang gefühlt und sind nun dem Bestehenden gegenüber sehr frei. Ja,
der Gewitterwind der WeltgerichLe strcift erfrifchend ihre Stirnen; sie ahnen
eine neue Verantwortlichkeit, als wären sie die letzten Menfchen und müßten
das Leben, glcich einer befchädigten Leihgabe, in möglichst wiederhergestellter
Forni dem Schöpfer zurückliefern. Großen Worten haben sie abgefchworen:
Herz, Liebe, Gokt, Freiheit, Heldentum, das sind Iramen, die sie nichk mehr
gerne aussprechen; sie glauben, daß dies alles verpuppt in winterlichen Tiefen
fchläft, und fcheuen sich, durch zudringliches Bcrufen die heiligen Gräber dcr
llrgewaltcn zu stören. Berwirklichen wollen sie, was ihncn dic innere Stimnie
rät, wärs auch das klcinste Ding; das ist das Öl, das fie auf die Grabampeln
Lräufeln, und nur noch im Lllltag erfcheüik ihncn manchmal die höhere Wclt.

Hans Carossa

iAus eiiiei» !m Jnsel Almaiiach oerüffeiitlichlen Romanl'ruchstückl

^eit-Theater und neue Volksbildung

Von Ernst Michel

't^ie fiuanzielle Zlrise der aus öst'cutlicheu Mittelu gespeistcu Theatcr ist
^-^zurzeit überall in Deutfchland sehr zugespitzt. Meift wird in dem
Kampf für oder gegen den Weitcrbeftand eines Theaters von allen beteiligten
Kreiscn uubesehen zugegeben, daß das Theater noch inmier für das kiilturelle
Lebcn des „Volkes", d. h. aller Bevölkerungsfchichten, schr geivichtig sei,
und zwar das Schauspiel mehr noch als die Dper. Nur seien eben die not
wendigen Zufchüsse, im Verhältnis ;u audereu, dringlichercn Llufgaben, bci deu
staatlichen uud kouunuualcn Geldfchmierigkeiten zurzeit untragbar. Jm
allgemeinen aber wird feftgehalten an der Vorkriegsaust'assung vom Theatcr
als eincm Kunft-Znstitut, das objektivc Kulturgüter gemeinverbiudlicher Llrt
zu vermitteln berufeu sci.

Aus dcm wohlbcgründcLcn Zweifel an dieser allgemeiiieii Kultur-Mission des
Theaters verlaugen uun — angesichts unscrcr tiefgreifeuden Volkszerspaltuug
— geivissc Kreise, man müsse das Theater grundsätzlich den privaken
Kräften übcrlassen. Andere dagegeu geheu vou hier iveitcr und fordern, es
als ivirksames Machtmittel in die geiftigeu, sozialen, politifchen Zeitströmun-

MSrzheft igzo (XXXXIII, 6)

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